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Donnerstag, 7. September 2023

Lola und Ötzi sind dunkelhäutig - keine Meinung und nicht beliebig diskutabel

Zwei aktuelle Fälle archäogenetischer Forschung belegen, was eigentlich schon seit ein paar Jahren bekannt ist: Die europäische Bevölkerung im Neolithikum und teils noch in der Bronzezeit war dunkelhäutig.

Schon 2019 war über "Lola" berichtet worden. Es handelt sich um eine Frau der Zeit um 3700 v.Chr., deren DNA aus einem Birkenteerkaugummi extrahiert worden ist.

In zweiten Fall geht es um eine neue Genanalyse bei "Ötzz". Die Methoden waren in den letzten Jahren so viel weiter entwickelt worden, dass eine neue Analyse notwendig wurde. Daher ergeben sich nun weitergehende Aussagne zu seiner Abstammung und seinem Aussehen.

Beide Meldungen wurden über Wissenschaftsjournalismus und dann über Social Media verbreitet. und in den Kommentarspalten und in den Social Media kommentierrt.

Die Macht der Illustration

Die Auseinandersetzung um Lola basiert vor allem auf einer Illustration, die sie als junges Mädchen mit dunkler Haut, schwarzen Haaren und blauen Augen zeigt. 

Das Bild löste einen Shitstorm aus. Der Vorwurf auf X-Twitter lautet zur Rekonstruktion von Lola, das sei Wokeness, bei Ötzi ist auf facebook von Blackwashing die Rede. 


Die Rekonstruktion von Lola wurde vom Künstler Tom Björklund gestaltet, der nun auch die neuen Ergebnisse zu Ötzi graphisch umgesetzt hat.



Neben viel gutem Feedback erntet er auch hier einen shitstorm ob des "verfluchten Bildes". Ein zentraler Diskussionspunkt wird hier nun,um die Nuancen der Hautfarbe geführt, die vielen zu dunkel ausfällt. Mit sachlichen Argumenten kann man diese Diskussion führen, aber den Kommentatoren geht es hier letztlich um eine "rassische" Zuordnung und je nach eigenen Wunschvorstellungen um ein heller/dunkler.
Die Ötzi-Rekonstruktion hat bisher seinen Weg in die deutschen Medien noch nicht gefunden, so dass Reaktionen des deutschen Publikums darauf noch ausstehen. 

Lola und Ötzi sind nicht die ersten Fälle, bei denen die genetische Rekonstruktion Empörung auslöst, weil sie manchen nicht ins Geschichts- und Menschenbild passt.
"Dokumentationen" wie auf Netflix (Archaeologik 14.6.2023), die tatsächlich das Aussagepotential und die - gelinde formuliert  -historische Wahrscheinlichkeit hinter die Provokation stellen, untergraben die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.
 

Reaktionen und Kommentare

In den Kommentaren und in den Social Media erwecken die Meldungen teils heftigen Widerspruch - aber nicht als begründete Meinung auf Basis wissenschaftlicher Argumente, sondern aus unreflektierten Geschichtsbildern, teils rassistischen Vorurteilen und einer sonderbaren Wissenschaftsskepsis.

Eine grobe Durchsicht einiger Kommentare lässt fünf Stoßrichtungen erkennen, die nicht selten kombiniert auftreten:

1. Rassistisch

Viele Kommentare sind einfach rassistisch und brauchen dazu gar keinen Bezug zum Inhalt. Vielfach steckt die folgende "Logik" (tatsächlich Unsinn) dahinter: Dunkelhäutig = minderwertig. Die Bestimmung von Ötzi oder Lola als dunkelhäutig bedeutet demnach eine Abwertung oder Enteignung der eigenen nationalen Geschichte. Oft fällt das Wort "deutsch" (obwohl die Fundstelle in Italien liegt).

Viele setzen "anatolische Wurzeln" mit Türken gleich und so findet sich diese Attitüde auch ganz konträt mit türkisch-nationalistischem Hintergrund.

und dann gibt es noch so was:

Sinn machen eigentlich gar keine der Aussagen. Bei manchen - her nicht zitierten - Aussagen ist man sich nicht sicher, ob sie die Urheber*innen für witzig oder satirisch halten. Dann mag man das als mißraten etwas milder betrachten, aber in der Regel fehlt es einfach an Anstand und/oder Hirn. 

Nicht selten ist auch primitives Regierungs- oder Grünenbashing. An aktueller Regierungsarbeit mag man ja durchaus einiges zu kritisieren habnen aber mit Ötzi hat das erst mal nichts zu tun und ist daher nur unsachliche Stimmungsmache.

2. Wissenschaft ist nicht vertrauenswürdig. 

Der Vorwurf, die Wissenschaft würde sich der Politik unterordnen, findet sich häufig.

In der Regel besteht kein Verständnis oder auch nur Interesse, wie Aussagen zustande kommen. In ein paar Jahren würde was anderes behauptet. Das scheintt v.a. die Kommentare zu Ötzi zu betreffen, zu dem es eben schon länger wirkmächtige Rekonstruktionen gibt und der auch bereits identitätsstiftend gewirkt hat.

In diese Kerbe haut auch das Satiremagazin Titanic:

 

3.  Irrelevant

Einige Kommentator*innen (hier ist es wichtig zu gendern, es sind tatsächlich nicht nur Männer), halten die ganze Meldung für irrelevant.

Die Irrelevanz wird bisweilen wohl nur dehalb konstatiert, weil einige der Schreiber*innen merken, dass die Nachricht sehr wohl Implikationen enthält, die ihr primitives Weltbild (siehe Punkte 1 und 2) in Frage stellen. So z.B. hier.

Tatsächlich sollte die Frage der Hautfarbe erst makl irrelevant sein, Aber das ist sie grade enen, die sie für irrelevant erklären , gerade nicht. Und deshalb ist es denn doch relevant, die Hautfarbe zu themattisieren.


4. Die Medien sind nicht vertrauenswürdig

5. Pietät und Totenruhe

 


Lehren für die Archäologie?

Als Disziplin sind wir für die Dummheit (das trifft es wohl nicht ganz, aber ein besserer Ausdruck fällt mir grade nicht ein) der Leute nicht mehr verantwortlich als der Rest der Gesellschaft. 
 
Aber es zeigt sich, wie gerade rekonstruierte Gesichter unserer vermeintlichen "Vorfahren" die Emotionen bewegen und somit auch ein Ansatzpunkt für Bildungsarbeit sein können. Das läuft aber gründlich schief, da aktuell eher ein Vertrauensschwund in die Wissenschaft und die Medien damit einhergeht. Offenbar muss hier Grundlegendes besser vermittelt werden. Konkret machen die meisten Leute keinen Unterschied zwischen der genetisch angelegten Hautfarbe und deren Witterungseinflüsse und verstehen nicht, dass die Genuntersuchung etwas anderes darstellt, als eine optische Begutachtung der Hautfarbe (z.B. der hier) - dass diese für die Wissenschaft überhaupt nachrangig ist. 
Was hier erklärt werden muss, sind die Zielsetzungen und Methoden. Ersteres ist der Wissenschaft meist so geläufig, dass es schon wieder unreflektiert wird, die Methoden werden meist explizit angesprochen, oft aber nur untr Verweis auf Routinen. in Fachartikeln werden sie nur rudimentär angesprochen und am ehesten mit verweisenden Literaturzitaten charakterisiert. Für die Belange der Forschung ist das ausreichend, aber unter dem Aspekt der Wissenschaftskommunikation kommt das zu kurz. Es stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist. Ist es der Wissenschaftler selbst, der ja mit der gängigen Praxis mit seinem Forschungsanliegen durchaus zurecht kommt? Oder ist das eine Aufgabe der Wissenschaftsvermittlung, die zum Teil ja auch von Journalist*innen getragen werden, die nicht unbedingt eine Fachausbildung besitzen?

Ötzi und Lola zeigen jedenfalls, dass es nicht nur an einer Vermittlung der genetischen Methoden mangelt, sondern grundsätzlicher eben auch an einem historischen Verständnis.
 
 
 


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