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Samstag, 9. Januar 2021

Die historische Dimension unserer Corona-Krise (1) - Wie werden aktuell historische Pandemien präsentiert?

Im März 2020, als sich die Corona-Situation in einer ersten Welle verschärfte, brachten viele Medien auf einmal historische Seuchengeschichten (Archaeologik inclusive). Im Sommer ebbten sie ab und im Herbst rollte nur eine sanfte zweite Welle, bei der es nicht zuletzt um Impfungen ging. Ende 2020 hat das Thema auch den Buchmarkt erreicht. Autoren sind Journalist*innen, aber auch Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen - klassische Historiker, Medizinhistoriker, aber auch Archäologen. 

Viren
(biology pop [CC BY SA 4.0]
via WikimediaCommons)

Wir werfen hier einen Blick auf solche Berichte, mit der Frage, was sie uns eigentlich sagen wollen? Sind das Orientierungshilfen, Durchhalteparolen, Schreckensszenarien oder schlicht schauerliche Unterhaltungstexte? Ziel ist hier keine tief schürfende Analyse aller Texte, sondern ein rascher Überblick, die verdeutlichen mag, dass die Geisteswissenschaften bei der Einordnung und Bewältigung der Krise helfen. Zugleich mag dieser Post eine erste Materialsammlung sein, um später zu beurteilen, wie sie sich dabei geschlagen haben, welche Narrative Karriere gemacht haben und wo Entwicklungsbedarf für die Wissenschaften besteht, Unter diesem Aspekt ist es wichtig, gerade auf die populärwissenschaftlichen Publikationen und nicht so sehr auf die Fachbeiträge zu schauen.

Der Historiker Martin Bauch machte schon zu Beginn der Corona-Epidemie in Deutschland im Mittelalter-Blog auf die Chancen aufmerksam, die historische Daten für das Verständnis von Seuchen liefern - nicht nur bezüglich der Pest mit ihren hohen Todesraten.

Tatsächlich brachten zahlreiche Zeitungen, Websites und Blogs historische Rückblicke auf vergangene Epidemien. Hier reiht sich übrigens - neben den Coronabeiträgen auf Archaeologik - auch ein eigener Beitrag in der Zeitschrift Archäologie in Deutschland ein:

Hier seien einige davon gesammelt und unter dem Aspekt des Lernens aus der Geschichte thematisiert. Bewusst geht es hier weniger um wissenschaftliche Fachbeiträge, sondern um Darstellung in den Medien - Zeitungen, Radio, Fernsehen, aber in Auswahl auch auf Blogs - da hier die Narrative bzw. die Intentionen der Vergleiche deutlicher hervortreten. 

Historisches Vergleichen

Einige der Artikel zielen ausdrücklich auf Lehren aus der Geschichte. “Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie spiegelt sich in dem, was gegenwärtig passiert. “ konstatiert Jakob Simmank in der Zeit. Es liegt hier klar auf der Hand, dass es um einen historischen Vergleich geht. Dass dies nicht unproblematisch ist, ist bekannt. Volker Reinhardt, Professor für allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg i. Ü. meint  im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung, jeder Vergleich hinke, denn jede Konstante - und als solche sieht er Epidemien hätten “es irritierenderweise an sich, von Variablen begleitet und dadurch wesentlich verändert zu werden”. Das stimmt. Aber Reinhardt meint weiter: “Der Volksmund fasste das in eine tiefe, von den Historikern bis heute ungenügend berücksichtigte Wahrheit”. Nun ist es aber gerade eine klassische Position der Geschichtswissenschaft, dass jede Epoche aus sich heraus verstanden werden müsse und Vergleiche daher nicht zielführend und zulässig seien. Das ist zwar eine Position, die dem Historismus des 19. Jahrhunderts entstammt, aber noch immer stehen Historiker einer vergleichenden Perspektive skeptisch gegenüber. Hier ist es wichtig zu differenzieren, wozu der Vergleich dienen soll: um Lehren für heute zu ziehen, oder um Vorgänge der Vergangenheit zu verstehen. Bei letzterem kann der Vergleich heuristisch helfen, die richtigen Fragen zu stellen.
Deshalb lohne sich ein Vergleich “nicht, um daraus Lehren zu ziehen, die es wegen der ganz unterschiedlichen Zeitverhältnisse und Zeitbefindlichkeiten nicht geben kann, sondern um nüchtern nebeneinander zu stellen”, so Reinhardt. Er greift dazu auf die spätmittelalterliche Grippe zurück und unternimmt also doch einen Vergleich, vergibt gar Punkte:



Pest 1348

Covid-19 2020

Opferzahlen

etwa ein Drittel der Bevölkerung

selbst nach den “pessimistischsten Prognosen apokalypseverliebter Virologen” nichts dergleichen 

Ursachenkenntnis

nein

ja

Sinnstiftung

Strafe Gottes
als Folge Pogrome

abenteuerliche Verschwörungsgerüchte im Web und “gelegentlich auch xenophobe Töne sind keine Entsprechung zu 1348”, 

Verbreitungsgeschwindigkeit

langsam

schnell

soziale Beziehungen

“Anarchie im Zeichen des krassen Überlebens-Egoismus”

durchorganisierte Wohlfahrts- und Vorsorgestaat - Furcht vor Versagen als Nachklang von 1348

Machtverschiebung

soziale Revolution

?

kulturelle Folgeerscheinungen

Die künstlerische und intellektuelle Elite münzte die Epidemie in einen Hymnus auf das Leben und den Lebensgenuss um. 

“Das und die damit verbundene Gelassenheit sollte sich die Gegenwart trotz ihrem klaren Punktsieg zu eigen machen und bei aller vernünftigen Vorsicht gegenüber dem Coronavirus auch nachahmen.”





Für mich ist die Zählweise für den Punktestand nicht nachvollziehbar. Sie impliziert auch, dass es um einen quantifizierenden Vergleich besser-schlechter geht. Solches verweist auf eine weitere Funktion des Vergleichens, nämlich das Relativieren. Wir kennen dieses Prinzip sehr gut aus diversen Debatten um die NS-Vergangenheit, wo solche Relativierungen meist zu Recht Empörung hervorrufen, da sie gezielt mit Hilfe eines Vergleiches verharmlosen.

Problematisch ist daran indes nicht das Vergleichen und Relativieren an sich, sondern die Intention dahinter. Vergleichen und Relativieren sind auch eine wichtige wissenschaftliche Methode. Problematisch wird es dann, wenn von vornherein eine bestimmte Absicht verfolgt wird und die Intention eine nicht-wissenschaftliche ist.

Die Relativierung bei Reinhardt ergibt sich aus einem einigermaßen systematischen Vergleich und zielt letztlich auf eine Vorbildfunktion, empfiehlt er doch, wir sollten uns die “Gelassenheit” nach der Pest “ zu eigen machen und bei aller vernünftigen Vorsicht gegenüber dem Coronavirus auch nachahmen.”

Jeder Übertrag von Erkenntnissen aus der Vergangenheit, sei es im Sinne einer “applied archaeology” oder der Vorbildfunktion, setzt eine gründliche Analyse der Vergangenheit voraus. Ein Feuilleton-Artikel kann das natürlich nicht in der nötigen Tiefe vornehmen und so scheint die Charakterisierung der Folgen der Pest als “ soziale Revolution” zunehmendem Lebensgenuss als reichlich verkürzt. Die Zusammenhänge - Voraussetzungen, Folgen, Kausalitäten- richtig einzuschätzen, ist hier ganz wichtig, aber eben eine der schwierigsten Aufgaben der Geschichtswissenschaft.

Bei den meisten Artikeln steht das Lernen aus der Geschichte im Mittelpunkt. Eine andere Perspektive nimmt der Zeithistoriker Martin Sabrow aus Potsdam ein, der mehr auf die Historisierung der aktuellen Covid-19-Pandemie achtet, zu dessen Einordnung Vorläufer und Kontinuitätslinien bzw. Zäsuren erinnert werden. Insgesamt blieben Geisteswissenschaftler und auch Geschichtswissenschaftler in der Diskussionen über die Pandemie relativ still, obgleich ihre Kernkompetenz ja die Einordnung von Ereignissen darstellt. Das Logbuch Corona Geisteswissenschaften bot hier eine Diskussionlattform, einerseits über die geisteswissenschaftliche Dimension des konkreten Umgangs mit der Krise, andererseits aber auch die Rolle der Geisteswissenschaften selbst. Reflektiert wurde beispielsweise der Begriff "systemrelevant",  die Rolle des Föderalismus aber auch die Einschränkung von Freiheitsrechten.
Eine These daraus: "Die Geisteswisenschaften hätten sich durch stark selbstbezogene Debatten und einer gewissen Überfeinerung ihrer themen selbst ins Abseits der Öffentlichkeit gespielt" (G. Chadzoudis). Geisteswissenschaftler seien es nicht gewohnt, schnell und präzise auf etwas zu antworten. 
 
Mir scheint, dass - bezogen auf Archäolog*innen und Historiker*innen eine wesentliche Schwierigkeit auch darin zu liegen, dass sie trainiert sind, eine spezifische zeitliche Situation im Detail und quellenorientiert zu analysieren, um exakt die Situation zu beschreiben und die jeweils konkreten Zusammenhänge zu verstehen. Das ist eine Stärke des Fachs, bewirkt aber auch, dass es schwer fällt, auf allgemeinere Strukturen zu abstrahieren,

Ein Interview mit Flurin Condrau, Professor für Medizingeschichte an der Universität Zürich beispielsweise hält jeden Vergleich zwischen der Pest des Spätmittelalters und der Corona-Pandemie für unzulässig. Er verweist dazu auf die konkreten Unterschiede: 1.) Die Pest hat viel mehr Opfer gefordert, 2.) bei Corona befinden wir uns erst am Anfang, die Pest kennen wir seit 700 Jahren, 3.) Der Tod wurde anders bewertet, da Religion einen anderen Stellenwert besaß. Das sind sicher richtige Feststellungen (die sich aus einem Vergleich ergeben), aber sie bleiben relativ oberflächlich.



Historische Vergleiche zur Corona-Pandemie

Im Folgenden seien einige - vor allem deutsche - Medienartikel aufgeführt, die derzeit explizit historische Vergleiche anstellen. Sie sind hier zunächst chronologisch nach den jeweiligen Pandemien sortiert. Konkret angesprochen, was uns der Vergleich nun tatsächlich für die Corona-Pandemie sagen soll, wird zwar meistens nicht, in einigen Fällen ergibt sich die Intention des Vergleichs trotzdem.

Spanische Grippe und andere Pandemien des 20. Jahrhunderts

Der Historiker Nicolai Hannig zieht den Vergleich von Covid19 zur Spanischen Grippewelle von 1918, die damals 20 bis 40 Millionen Menschen weltweit das Leben kostete. Anhand der unterschiedlichen Vorgehensweisen der Städte St. Louis und Philadelphia führt er die Wirksamkeit des Social Distancings vor Augen.
Hospital in Kansas während der Spanischen Grippe 1918
(Foto: National Museum of Health and Medicine [PD] via WikimediaCommons)


Anfang April sendete der Deutschlandfunk eine Reihe „Leben in Ausnahmesituationen“ , in der es um den Ausbruch des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawadie 1815, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, den Finanzcrash von 2008, den Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull 2010, Mogadischu im Terror durch islamistische Milizen und eben die Spanische Grippe 1918 ging.

Im Blog der FAZ greift Wirtschaftsredakteur Gerald Braunberger ebenfalls auf die Spanische Grippe zurück. Ihm geht es um die wirtschaftlichen Folgen der Krise insbesondere auch um den in der aktuellen Debatte eröffneten Gegensatz zwischen Wirtschaft und Gesundheit.

Vergangenheit dient - bei allen Einschränkungen des Vergleichs - als Hilfsmittel einer Prognose, bietet die Grundlage zu Reflektion und bietet Orientierung. So kommt er etwa zu dem allgemeinen Fazit: “Die Pandemie richtet wirtschaftlichen Schaden an, nicht ihre Bekämpfung.”

“Epidemien zeigen offenbar wiederkehrende Muster:” Der Rückgriff auf frühere Pandemien soll Orientierung schaffen:

Mirko Drotschmann greift auf seinem YouTube-Kanal “MrWissenTogo” (Funk) den Vergleich zwischen der Spanischen Grippe und Corona-Pandemie auf und fragt nach den Lehren aus der Geschichte. Er zieht aus der Situation von 1918 drei Lehren für die Gegenwart: 1. Den Ernst der Lage erkennen, 2. Schnelles Handeln bei Massnahmen zur Eindämmung der Ansteckungen und Regeln beachten, 3. Keine Falschmeldungen verbreiten.

Die Menschen reagieren ähnlich wie in früheren Zeiten auf die Krise, meint der Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart bei seinem Vergleich zwischen der Spanischen Grippe und der Coronakrise (Artikel hinter paywall).
Ähnlichkeiten im Umgang mit der Seuche sieht auch ntv im Vergleich zwischen Corona und Spanischer Grippe. Der Artikel verbindet dies mit einer Warnung: “Und das ist nicht unbedingt etwas Gutes.” Er betont die Rolle von Schuldzuschreibungen und fake-News. “Erst wurde das Problem heruntergespielt, dann wurden andere beschuldigt und irgendwann kam die Einsicht, dass die Pandemie nur schwer aufzuhalten war. Die politischen Führer reagierten viel zu spät oder überhaupt nicht, weil eine andere Angelegenheit - namentlich der Krieg - Vorrang hatte. Statt radikale Ausgangssperren für einen überschaubaren Zeitraum zu verhängen, blieb es bei halbherzigen Maßnahmen, sodass über zwei Jahre hinweg insgesamt drei Ausbreitungswellen auftraten, die viele Millionen Menschen das Leben kosteten und die Gesundheit vieler weiterer Millionen nachhaltig schädigten. Die moderne Medizin hat seitdem viele Fortschritte gemacht, aber die Fehler von einst wiederholen sich in diesen Tagen dennoch.”

Ebenfalls einen Vergleich mit Covid.19 unternimmt ein Beitrag des Deutschlandfunks:

 
Weitere journalistische Beiträge, die mehrheitlich die Spanische Grippe heranziehen, um aus der Vergangenheit für die Coronakrise lernen zu können:
Die Spanische Grippe war natürlich schon 2018 zu ihrem 100er Jubiläum Thema:

Neuzeitliche Pestausbrüche

Nachdem die ‘erste Corona-Welle’ in Deutschland einigermaßen glimpflich verlaufen sind, häufen sich die Berichte über Verschwörungstheorien und entsprechend wird auch dieses Thema historisiert. Der Tagesspiegel druckt eine Reflektion von Ehrhart Körting, der im Land Berlin als Innen- und Justizsenator tätig war und als Jurist promoviert wurde. Körting zitiert aus den Erinnerungen seines Vorfahren Johann Jakob Lerche, der 1771 als Arzt die Pest in Moskau miterlebte. 

Prozessionen, die die Pest eindämmen wollten hatten den gegenteiligen Effekt, weil hier Kontaktsituationen entstanden, die eine Infektion begünstigten. Nach einem angeblichen Wunder an einem Marienbild kam es zu Unruhen, der Erzbischof wurde ermordet, an der Pest Erkrankte aus der Stadt getrieben und die Ärzte misshandelt. Der Mob gab den Ärzten die Schuld, die Pest verursacht zu haben. Körting kommentiert den Bericht nur kurz, erkenntlich aus seiner Erfahrung als Politiker. Schon der teaser zum beitrag kündigt Lehren für die Gegenwart an und zum Schluss formuliert der Autor auch: “Manches können wir aus dieser historischen Epidemie in Russland und aus anderen Epidemien lernen. Mit jeder Epidemie ist eine der Grundfragen menschlichen Seins verbunden. .. Und wenn dies nicht hilft, werden Schuldige gesucht.” Logisch aus dem Bericht leiten sich die - wahrscheinlich durchaus zutreffenden - ‘Lehren, jedoch nicht ab, denn schließlich wird nur von einem Einzelereignis berichtet, verallgemeinernde Aussagen bedürfen aber einer breiteren Datenbasis.

Fake News und Urban legends sind auch das zentrale Thema von Alfred Messerli, der von 1986 bis 2019 als Professor an der Universität Zürich am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft lehrte. Sein Beitrag erscheint natürlich nicht zufällig im Mai 2020, aber sein Text stellt direkten keine Bezüge zur Gegenwart her, was nach der gewählten Plattform (“Geschichte der Gegenwart”), wie auch dem fachlichen Hintergrund des Autors plausibel gewesen wäre.

Epidemien der Neuzeit

Gleich in mehreren Artikeln greift die Welt (u.a. Berthold Seewald, der leitende Redakteur ‘Geschichte’) Seuchen der frühen Neuzeit auf. Er behandelt den Englischen Schweiß des 16. Jahrhunderts, aber auch die Seuchen im preußischen Heer während des Deutschen Krieg von 1866.
Schwerpunktmäßig mit den Choleraepidemien vor dem Ersten Weltkrieg setzten sich Berichte auf spektrum.de und in ZEITgeschichte auseinander:
Christoph Dieckmann, “Ich vergesse, daß ich in Europa bin”. 1892 wütet die Cholera in Hamburg. Bis Robert Koch die Seuche besiegt Von . ZEITgeschichte (14.10.2020). -
Das Interesse gilt hier den damaligen Ursachenforschungen und den staatlichen Gegenmaßnahmen. Immer wieder werden Parallelen zur Covid19-Pandemie gezogen. In einem Kästchentext werden einige historische Erkenntnisse hervorgehoben:

“Auf einen Blick: Epidemien im Wandel der Zeit
Pandemien wie Covid-19 sind im Zuge weltumspannender Verkehrs- und Warenströme wahrscheinlicher geworden.

Zu den globalen Epidemien der jüngeren Vergangenheit zählen die Cholera und die Spanische Grippe.

Seuchen wie diese haben maßgeblich dazu beigetragen, öffentliche Gesundheit als Wert zu erkennen und institutionell zu fördern. Ein Ergebnis dessen ist die Weltgesundheitsorganisation.”



Die Pest des Spätmittelalters und andere Krankheiten des Mittelalters

Zufälligerweise traf die Corona-Pandemie zeitlich mit der großen Pest-Ausstellung in Herne zusammen, zu der ein umfangreicher Begleitband erschienen ist. Einen detaillierten Vergleich zwischen der Pest und Covid-19 bietet der Kurator der “Pest-Ausstellung” nun in einem Video zu der nun v.a. online präsentierten Ausstellung:
Aber auch sonst war die Pest aufgrund ihrer “Popularität” ein beliebter Aufhänger. Sie wird in verschiedenen populärwissenschaflichen Zeitschriften wie ZEITgeschichte aufgegriffen.

Klaus Bergdolt, schon lange vor Corona Verfasser zahlreicher Bücher zu Seuchen des Mittelalters und der Neuzeit thematisiert die Pest in einem Artikel für ZEITgeschichte. Er verweist auf die Krisenreaktionen und impliziert eine historische Tradition (und damit Legitimierung) aktueller Notstandsmaßnahmen wie Lockdown, Quarantäne oder Maskentragen. “Eine strenge Kontrolle des Seuchenalltags durch die Behörden galt bereits im Mittelalter als unverzichtbar. Schon früh gab es in Italien entsprechende Notstandsverordnungen und eine Art Gesundheitspolizei. 1576 und 1631/32, als Venedig von einer mit der Epidemie von 1348 vergleichbaren Pestkatastrophe heimgesucht wurde, regelten die "Gesundheitsgesetze" den Ablauf der Trauergottesdienste: Sie schrieben im Detail vor, welche Kleidung getragen werden und wie die Zeremonie der Beisetzung ablaufen musste.”

Helmut Fink beleuchtet für das fränkische Kortizes-Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs, einer gemeinnützigen GmbH, den Umgang mit Pandemien damals und heute aus einer weltanschaulich-humanistischen Perspektive. Die Lage sei ernst, aber den heutigen Menschen steht heute der enorme medizinische Fortschritt zur Seite, der Resultat der Aufklärung des 18. Jh. ist, während Menschen früherer Zeiten nur die Religion als Hilfestellung hatten.


James le Palmer, Omne Bonum (London) 1360-1375
The British Library; Record Number: c6541-07; Shelfmark: Royal 6 E. VI;
Page Folio Number: f.301.


Mit der Lepra setzt sich die WELT auseinander:


Epidemien der Antike

Auch die Alte Geschichte kennt zahlreiche Epidemien, die in einigen Medienberichten angesprochen wurden. Das Hauptaugenmerk fällt hier auf die Justinanische Pest des 6. Jahrhunderts sowie auf die Antoninische Pest im 2. Jahrhundert, der auch Kaiser Marc Aurel zum Opfer fiel. Während es bis heute schwer fällt, die Dimensionen der Justinianischen Pest genauer abzuschätzen, ist nach entsprechenden DNA-Funden im Münchner Raum inzwischen zumindest klar, dass yersinia pestis der Erreger war (vgl. Archaeologik 28.3.2020).

Im österreichischen Standard behandelte Johannes Preißer-Kapeller im März die Justinianische Pest des 6. Jahrhunderts, ohne irgendeinen Versuch eines Vergleichs zur Corona-Krise.

Der Archäologe St. Groh greift - ebenfalls im Standard - die Antoninische Pest des 2. Jahrhunderts auf. Er fragt, ob sich Geschichte wiederholt. Seine Antwort:
“Ja. Gerade in Zeiten, wo Sars-Cov-2 , kurz: das Corona-Virus in aller Munde ist und pandemisch die globalisierte Welt in Angst und Schrecken versetzt, in Zeiten, wo kriegerische Ereignisse, im Nahen Osten, gepaart mit einer Migration von Bevölkerungsteilen ihre Auswirkunge auch auf Mitteleuropa haben, da ist es hilfreich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Offensichtlich reagiert der Mensch 1860 Jahre nach der sogenannten Antoninischen Pest (165-189/90) mit stereotypischen Verhaltensmustern und Strategien. Diese nachdenklich stimmenden Koinzidenzen und deren Folgen seien aus aktuellem Anlass aufgezeigt.”
Kaiser Marc Aurel beorderte 169 n.Chr. eine Legion aus dem Osten des Reiches ab, um sie an der Donaugrenze einzusetzen. Dort galt es, germanische Stämme abzuwehren, die von Norden her ins römische Reich einfielen, um östlich an den Alpen vorbei Richtung römisches Mutterland zu ziehen. Die Soldaten bringen jedoch die “Pest” mit. Marc Aurels Mitregent Lucius Verus erliegt ihr in Aquileia. Um welche Krankheit es sich tatsächlich handelt, ist heute unklar; wahrscheinlich war es eine Pocken- oder Masernepidemie. Der Kaiser ergreift mit dem Bau eines Legionslager beim heutigen Locica (Slowenien), einem neuralgischen Punkt auf der Route nach Italien, eine bemerkenswerte Maßnahme. Das ÖAI hat diese Anlage erforscht und festgestellt, dass hier bauliche Massnahmen zur Behandlung der Kranken und zur Eindämmung der Krankheit ergriffen wurden. Der Kaiser schlug mit diesem Lager zwei Fliegen mit einer Klappe: Er sperrte den Zugang nach Italien, um das Vordringen der Germanen zu verhindern und mit der Quarantänestation dämmte er die Ausbreitung des Virus im Heer ein. Es gelingt, die Germanen abzuwehren, die Krankheit nimmt jedoch ihren Lauf mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Groh hält die Massnahmen für sehr fortschrittlich und mit der Gegenwart vergleichbar.
Über vorgeschichtliche Epidemien lernen wir erst in den letzten Jahren, da sie erst neuerdings mit den Methoden der Archäogenetik greifbar werden. Insbesondere die Folgen der Neolithisierung für das Infektionsrisiko sind ins Blickfeld geraten. Während für die jüngeren Perioden die schriftlichen Quellen oft Symptome beschreiben, Datierungen geben und uns auch Hinweise auf die Reaktionen und Wahrnehmungen geben, sind diese Aspekte bestenfalls mit archäologischen Quellen zu identifizieren.

Ein Sammelband des Exzellenzcluster ROOTS der Universität Kiel vereinigt 13 Beiträge aus der Archäologie und ihren Nachbardisziplinen zu Pandemien. Hier präsentieren Fachleute in verständlicher Form aktuelle Forschungen, versuchen aber auch einen Aktualitätsbezug herzustellen und aufzuzeigen, welche Bedeutung das Wissen über vergangene Pandemien für uns heute hat. Es geht ihnen explizit um einen Beitrag zur Krisenbewältigung, die ein tieferes Verständnis benötigt, “das nicht nur medizinisch, juristisch, wirtschaftlich oder politisch informiert, sondern auch kulturell vermittelt ist.”

In den journalistischen Medien spielen die vorgeschichtlichen Seuchen eine vergleichsweise geringe Rolle. Zwar haben die Meldungen über den Nachweis der Pest am Ende der Jungsteinzeit einige Aufmerksamkeit gefunden, doch das war deutlich vor Covid19.

Nur in der Welt griff B. Seewald auf die Vorgeschichte zurück, wobei aber auch er keine Vergleiche mit der aktuellen Situation zog. Die Änderung der Lebensweise zu Sesshaftigkeit und Viehzucht ist verantwortlich für das Auftreten von Salmonelleninfektionen.

Chronologisch übergreifende Perspektiven

Mehrheitlich gehen die Artikel, wie gesehen auf einzelne Epidemien ein. Die Vergleiche zu Covid-19 werden mal explizit aufgeführt, mal dem Leser überlassen und gar nicht thematisiert. Interessanterweise sind übergreifende historische Vergleiche v.a. unter der Rubrik Wirtschaft zu finden. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass hier der Blick auf Datenreihen und die Korrelation von Börsenkurven mit historischen Ereignissen zum fachlichen Alltag gehört.
Der Wirtschaftsredakteur der FAZ, Patrick Bernau, greift am 7.4. die historischen Pandemien auf. Ihn interessiert, was frühere Epidemien mit Vermögen angerichtet haben. Er sieht, dass Seuchen und Pandemien langfristig die Ungleichheit verringern, da Krisen Gelegenheit seien, im Nachhinein auch von den Reichen Solidarität einzufordern und beispielsweise prinzipiell rechtmäßig erworbenes Vermögen stärker zu besteuern.
Zwei Tage vor Bernau beleuchtete bereits der Tagesspiegel die Lohnentwicklung nach Epidemien. Da hier, anders als bei Krieg, Infrastruktur erhalten bleibe, bestünde nach einer Epidemie ein Mangel an Arbeitskräften, das sei gut für Löhne und Arbeiter. Der Tagesspiegel verweist explizit auf eine Studie der FED (Federal Reserve Bank), die im März als Working Paper publiziert wurde.

Dank

Besten Dank an Jutta Zerres fürs Einsammeln von Beiträgen und kurze Zusammenfassungen!!

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