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Mittwoch, 8. April 2020

Krankheitserreger als „Global Player“ - Vom Austausch tödlicher Erreger mit der Entdeckung der Neuen Welt


Beitrag von Tim Röder


1. Ewige Geißeln der Menschheit


Corona-Beiträge auf Archaeologik
Viren
(biology pop [CC BY SA 4.0]
via WikimediaCommons)
Krankheitserreger versetzen unsere Welt immer wieder in Unruhe. Insbesondere Viren und Bakterien werden durch den immer weiter voranschreitenden Prozess der Globalisierung über den gesamten Erdball verteilt. Der heutige intensive Flugverkehr trägt wesentlich dazu bei (Findlater/Bogoch 2018). So geht etwa aus dem aktuellen »World Airport Traffic Reports des Airports Council International (ACI)« hervor, dass die Anzahl der weltweiten Flugreisen sowie die Passagierzahlen stetig zunehmen. Der ostasiatische Großraum ist dabei Spitzenreiter, sodass beispielsweise dort im Jahr 2018 insgesamt 3,3 Milliarden Fluggäste verzeichnet wurden. Besonders die Mobilität des Menschen bewegt sich also heutzutage in Dimensionen, deren Ausmaß nahezu unüberschaubar geworden ist. Doch was viele nicht wissen: Mobilität und Infektionskrankheiten sind bereits seit dem Neolithikum eng miteinander verwoben, wenngleich zu dieser Zeit kein Flugzeug, sondern Pferde, Ochsen und Boote die schnellsten Fortbewegungsmittel waren.    

Die Sesshaftwerdung des Menschen, verbunden mit der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht am Beginn der Jungsteinzeit, läutete das Zeitalter der Infektionskrankheiten ein (Campbell/MacKinnon/Stevens 2010, 189). Auf der Suche nach der Ursache für die Ausbreitung verschiedener Erreger spielt jedoch weniger das nun dichtere Zusammenleben von Menschen und Tieren innerhalb der bäuerlichen Lebenswelten eine entscheidende Rolle. Vielmehr waren die in den Siedlungen lagernden Lebensmittelvorräte sowie die vernachlässigten Entsorgungspraktiken Auslöser dafür, dass allerlei ungebetene Gäste angelockt wurden. Darunter besonders verschiedene Kleinsäuger und Nagetiere, die sich an teils ungeschützten Getreidevorräten und Milchprodukten zu schaffen machten. Im Gepäck hatten sie allerdings auch parasitäre Begleiter dabei, wie beispielsweise Flöhe und Läuse, aber auch Bakterien, Viren, die vor allem über den Weg der Nahrungskette zahlreiche Krankheitssymptome beim Menschen hervorriefen (Krause/Trappe 2019, 107f.).

Während Pest, Lepra, Paratyphus, Tuberkulose und Syphilis für viele Menschen heutzutage Seuchen aus längst vergangener Zeit darstellen, von denen dank des Wunderheilmittels »Antibiotikum« nicht mehr besonders große Gefahr auszugehen scheint, haben sich tödliche Virus-Pandemien und die damit einhergehende Angst ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt.

Darunter befindet sich zum Beispiel das Pockenvirus, das noch im 20. Jahrhundert weltweit etwa 300 Millionen Tote forderte und durch seine hohe Infektionsrate und Mortalität zu den gefährlichsten Krankheiten des Menschen zählte.
Brandaktuell dürfte aber vor allem die Angst vor der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus mit der Bezeichnung »SARS-CoV-2« sein, welches sich, ausgehend von einer Provinz in China, seit Dezember 2019 verbreitet und in dessen Folge die »Weltgesundheitsorganisation (WHO)« am 30.01.2020 den internationalen Gesundheitsnotstand ausrief. Während Mediziner und Virologen lange Zeit davon ausgingen, dass Coronaviren bei Menschen ausschließlich normale Erkältungskrankheiten verursachen, änderte sich diese Annahme allerdings spätestens, als zwei besonders krankheitserregenden Virusvarianten, die bereits in der Vergangenheit Epidemien auslösten - das SARS-Coronavirus (Severe Acute Respiratory Syndrome) und das MERS-Coronavirus (Middle East Respiratory Syndrome), genauer untersucht wurden. Durch die inzwischen pandemische Ausbreitung des neuartigen Coronavirus »SARS-CoV-2« stehen weite Teile unserer globalisierten Welt beinahe still. Es zeichnen sich schon jetzt (Stand: 01.04.2020) massive gesundheitliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche, sozioökonomische und politische Konsequenzen ab. Daneben laufen auch die Erforschung eines Impfstoffes und die Suche nach wirksamen Medikamenten auf Hochtouren. 


  • Weltweiter Infektions-Tracker von COVID-19 bereitgestellt durch: The Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU) <https://coronavirus.jhu.edu/map.html> [Stand: 01.04.2020].
Eine Sache steht jedenfalls fest, nämlich dass unhygienischer Kontakt mit infizierten Tieren einer der Hauptgründe dafür ist, dass sich derartige Viren auf den Menschen übertragen. Eine solche Übertragung vom Tier auf den Menschen bezeichnet man dann als Zoonose (Krause/Trappe 2019, 177). Auch aus evolutionärer Sichtweise stellten sich Krankheitserreger erst auf uns ein, als die Menschen zahlreicher wurden und begannen, auf engem Raum zusammenzuleben. Genau in diesem Milieu liegen die Brutherde für neue Krankheitserreger und zudem ein erhöhtes Risiko der Virus-Mutation.

Neben den Viren dürfen wir aber die bakteriellen Infektionskrankheiten nicht vergessen. Auch wenn derartige Erreger seit dem Durchbruch der Antibiotika in der Mitte des 20. Jahrhunderts unter Kontrolle gehalten werden können, so sind diese nicht von der Bildfläche verschwunden. Sicher fühlen sollten wir uns deshalb auf gar keinen Fall, denn der massenhafte und leichtfertige Antibiotika-Einsatz in der Tierzucht und auch in der Humanmedizin trägt dazu bei, dass Bakterien vermehrt Resistenzen ausbilden können. Immer häufiger werden Meldungen von sogenannten »Krankenhauskeimen (MRSA) in den Medien laut und, dass die Anzahl der multiresistenten Bakterien zunimmt und ein drohender Antibiotika-Notstand kurz bevorsteht. 

Johannes Krause, ein deutscher Biochemiker mit Forschungsschwerpunkt zu historischen Infektionskrankheiten und Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, unterteilt hierbei in drei »epidemiologische Transitionen«, die Infektionskrankheiten durchlaufen (Krause/Trappe 2019, 225). Das Schema (Abb. 1.) veranschaulicht diesen Prozess und die unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Während wir uns heute in der zweiten »epidemiologischen Transition« befinden, in der vor allem in westlichen Ländern vorwiegend Wohlstandskrankheiten wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes auf dem Vormarsch sind, so zeichnet sich wohl schon langsam die »dritte epidemiologische Transition« ab, die der Welt bevorstehen könnte und uns hoffentlich nicht ins Neolithikum zurückwirft. Denn mit Blick auf die zahlreichen Entwicklungsländer wird deutlich, dass Lepra, Typhus, Tuberkulose und auch die Pest ohnehin wieder oder immer noch Bestandteil des alltäglichen Lebens sind und sich besonders die Syphilis-Erreger aufgrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen langsam, aber sicher auch Richtung Europa ausbreiten (Krause/Trappe 2019, 225f.).

Abb. 1. Die drei »epidemiologischen Transitionen« nach Johannes Krause
(Grafik: T. Röder).


Die Mobilität des Menschen feuerte also seit jeher die Ausbreitung von Infektionskrankheiten an, weshalb unzählige Menschen Opfer eines unsichtbaren Feindes wurden. Vor allem der durch den Handel intensiver werdende Austausch zwischen den Populationen trug maßgeblich dazu bei. So etwa auch die Seidenstraße, ein altes Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute die Handelsmetropolen des Mittelmeerraumes mit Ostasien verband und eventuell auch bei der Ausbreitung der Pest eine entscheidende Rolle spielte (Bergdolt 2017, 33ff.). Viel gravierender wirkte sich allerdings ein Ereignis aus, dass maßgeblich zur Entstehung einer globalisierten Welt beigetragen hat – nämlich die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahre 1492. Verheerende Krankheiten drangen in der Folge in neue Weltgegenden vor (Abb. 2). 

Abb. 2. Opfer der Pockenepidemie von 1520 in Zentralmexiko, dargestellt im Florentiner Kodex des 16. Jahrhunderts, Buch XII, Folio 53.
 (aus: Fray Bernardino de Sahagún, Historia general de las cosas de nueva España [1569].
[gemeinfrei] via WikimediaCommons).

Während sich viele Historiker heutzutage darüber einig sind, dass die nordamerikanischen Ureinwohner nach der Ankunft der europäischen Kolonisten massenhaft durch Pocken und Masern dahingerafft wurden, war die Ursache und das Erscheinungsbild der sogenannten »Cocolitzli-Epidemie« (Nahuatl übers. „Große Pest“) im Zeitraum zwischen 1545-1550 auf dem Gebiet des heutigen Mexikos völlig unbekannt (Abb. 3). 
Was genau war der Grund dafür, dass schätzungsweise 60% bis 90% der damaligen Bevölkerung im heutigen Mexiko und Guatemala, aber vielleicht auch in weiter südlich angrenzenden Regionen ausgelöscht wurden? Handelte es sich um ein lokales Ereignis oder müsste man vielleicht vielmehr von einer Pandemie sprechen? Wahrscheinlich haben die Europäer wirklich eine Reihe tödlicher Krankheiten in die Neuen Welt eingeschleppt und von dort aus auch einige Erreger mit nach Hause genommen. Eine eindeutige Verifizierung steht vielfach noch aus. Vieles deutet auf ein komplexes Wechselspiel zwischen beiden Kontinenten hin. Aktuelle Forschungsprojekte der Archäogenetik und der Neuzeitarchäologie setzen hier nun an.


Abb. 3. Bevölkerungsrückgang durch Epidemien in Mexiko vom 16. bis 19. Jahrhundert. Neben dem Ausbruch der Pocken im Jahr 1520 sind deutliche Bevölkerungsrückgänge während der »Cocoliztli-Epidemie« zwischen 1545-1550 zu erkennen. 1576 tritt eine zweite »Cocoliztli-Epidemie« in abgeschwächter Form erneut auf, forderte aber deutlich weniger Tote.
(aus:  Acuna-Soto/Stahle/Cleaveland/Therrell 2002 [CC0 1.0] via WikimediaCommons).


2. Grundlagen der DNA-Forschung

Dass wir heute so viel über die Entstehung und den Aufbau von Lebewesen und Viren wissen, verdanken wir einer etwa hundertjährigen Forschungsgeschichte, die ihren Durchbruch im Jahr 1953 hatte, als die dafür ausgezeichneten Nobelpreisträger James Watson und Francis Crick die Molekularstruktur der Desoxyribonukleinsäure (DNA) entdeckten. Als Träger der Erbinformation, also die materielle Basis der Gene, enthält die DNA die Information für die Herstellung der Ribonukleinsäuren (RNA), deren Hauptfunktion die Umsetzung von genetischer Information in Proteine darstellt. Als Informationsüberträger fungiert hierbei die sogenannte mRNA (messenger RNA), auch Boten-RNA genannt (Krause/Trappe 2019, 15). Dieser Vorgang der Proteinbildung ist für das biologische Wachstum eines Lebewesens und für den Stoffwechsel in der Zelle unerlässlich. In den darauffolgenden Jahren bemühte sich vor allem die Medizin darum, dass die DNA-Forschung vorangetrieben wurde. In einem großangelegten internationalen Forschungsprojekt, dem sogenannten »Humangenomprojekt«, setzte man sich primär das Ziel, das menschliche Genom vollständig zu decodieren und die Sequenz der etwa 3,3 Milliarden Basenpaare der DNA zu entschlüsseln. Dieses Vorhaben wurde in den USA im Jahr 1990 als Projekt eines öffentlich finanzierten internationalen Forschungsverbunds begründet und wurde im Jahr 2003 erfolgreich abgeschlossen. Bereits während des »Humangenomprojekts« lag der Fokus der Wissenschaft besonders darauf, neue Erkenntnisse über den Ursprung bestimmter Krankheiten zu erhalten und neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. 
Abb. 4. HiSeq X Ten Sequenziermaschine von Illumina,
Garvan Institute of Medical Research,
Sydney Australien, 2014
(P. Morris/Garvan [CC BY-ND 2.0] via flickr)
Die ein paar Jahre zuvor entwickelte »Polymerase-Kettenreaktion« (PCR - Polymerase-Chain-Reaction), welche eine künstliche Vervielfältigung von DNA beschreibt, die tagtäglich auch auf natürliche Weise in unserem Körper stattfindet, bildet hingegen die Grundlage heutiger Sequenziermaschinen. Mit deren Hilfe kann die Abfolge der Basen innerhalb eines DNA-Moleküls effizient ausgelesen werden. Daneben wird der technologische Fortschritt solcher Sequenziermaschinen anhand eines Vergleiches deutlich: Während man beispielsweise nach Abschluss des »Humangenomprojekts« um die Jahrtausendwende noch mehr als zehn Jahre benötigte, um die Erbinformation eines Menschen zu entschlüsseln, so sind in heutigen hochmodernen Laboren mit Hilfe neuester Sequenziermaschinen (Abb. 4.) eine Billion Basenpaare pro Tag fast schon ein Kinderspiel. Demnach können heute etwa 300 menschliche Genome an einem Tag decodiert werden (Krause/Trappe 2019, 15f.).  

  

3. Archäogenetik auf dem Vormarsch – Entschlüsselung alter und neuer DNA

 Die »Archäogenetik«, ein Begriff der vor allem durch Colin Renfrew (Renfrew 2000) geprägt wurde, stellt einen relativ jungen Wissenschaftszweig dar. Als Bindeglied zwischen der Archäologie und der Genetik nutzt diese Disziplin primär die in der Humanmedizin entwickelte Methoden der DNA-Forschung, um anhand archäologischer Funde (z.B. Knochen, Zähne oder auch Bodenproben) und der darin enthaltenen DNA einzelne genetische Profile von Individuen zu erstellen und Rückschlüsse beispielsweise auf die Herkunft dieser längst verstorbenen Menschen zu ziehen (Krause/Trappe 2019, 16). Auf diese Weise können zum Beispiel die Ausbreitung von Erbanlagen in Europa oder umfangreiche Wanderungsbewegungen mit hoher Präzision rekonstruiert werden, worüber in der archäologischen Forschung größtenteils nur spekuliert werden konnte. Daneben ist es auch möglich, genetische Strukturen von historischen und prähistorischen humanen, pflanzlichen, tierischen oder gar pathogenen Organismen zu analysieren.   


Obgleich sich bisher noch keine eigenen Studiengänge zur Archäogenetik etabliert haben, so besitzt die Entschlüsselung alter DNA auch in der Archäologie einen immer höheren Stellenwert. Vergleichbar mit dem in den 1950er Jahren gelungenem Durchbruch der absoluten Datierung mithilfe der 14C-Methode hätte die Archäogenetik durchaus das Potential Grundprinzipien der Archäologie zu revolutionieren (Krause/Trappe 2019, 18). Der rasche qualitative und quantitative Verfall von DNA innerhalb eines abgestorbenen Organismus stellt die Archäogenetik jedoch vor ein großes Problem. So wirken sich beispielsweise Temperatur, pH-Wert, Feuchtigkeit des Liegemilieus und der Mikrobenbefall negativ auf die DNA-Erhaltung aus (Bösl 2017, 19). Der größte Feind ist allerdings die Zeit, denn je länger sich ein organischer Organismus im Boden befindet, desto unwahrscheinlicher wird es, eine aussagekräftige DNA-Probe zu entnehmen. Bei der Freilegung möglicher DNA-Träger muss deshalb genauestens darauf geachtet werden, dass diese bei der Probenentnahme nicht durch fremde DNA von Bakterien der umgebenden Umwelt oder von den Forschern selbst verunreinigt werden. Im Umgang mit alter DNA, der sogenannten »aDNA«, ein recht moderner Begriff, dessen einheitliche Verwendung sich erst noch endgültig durchsetzen muss (Bösl 2017, 29f.), haben sich mittlerweile aber auch gewisse Standards in der Archäogenetik etabliert. So können mithilfe der hoch modernen Sequenziermaschinen und des damit einhergehenden gesteigerten Datendurchsatzes Kontaminationen häufiger ausgeschlossen werden. Daneben existieren inzwischen aber auch Methoden, die markante Schäden in der menschlichen DNA aufspüren. Dazu macht man sich den gleichmäßigen Zerfall der DNA zunutze, sodass sich folgende Gesetzmäßigkeit ableiten lässt: Je weiter fortgeschritten der Zerfall ist, desto älter ist auch die DNA. Sollten sich also spezifische Schadensmuster finden lassen, die nur mit einer jüngeren DNA in Verbindung stehen können, ist die Probe verunreinigt und für weitere wissenschaftliche Analysen kaum mehr brauchbar (Krause/Trappe 2019, 31f. sowie Warinner/Herbig/Mann [u.a.] 2017).

Den bis heute enormen Zuwachs an Publikationen verdanken wir den methodischen Fortschritten zum Umgang mit alter DNA ab der Mitte der 1990er Jahre. So wird die Thematik in einigen Sammelbänden mit zahlreichen Coautorinnen- und autoren zu Spezialthemen, wie etwa der Neandertalerforschung, Neolithisierung oder der Tuberkuloseforschung sowie in einigen Monografien (Auswahl: Waldron 2007; Waldron 2017; Pääbo 2014; DeSalle/Tattersall 2012), aufgegriffen, doch sind, entsprechend naturwissenschaftlicher Gepflogenheiten, vor allem die Fachzeitschriften beziehungsweise deren Onlineausgaben primäre Publikationsorte. Das Problem: Derartige Fachzeitschriften, wie beispielsweise die »Science« oder »Nature«, aber auch medizinischen Zeitschriften, wie etwa die »PNAS« oder »PLOS ONE«, sind hoch spezialisiert und werden selten überfachlich rezipiert. Derartige Fachzeitschriften sind sozusagen von den kulturhistorischen Forschungen separiert. Des Weiteren lässt sich bis heute keine eigene »aDNA-Fachidentität« erkennen, weshalb sich auch kein spezifisches aDNA-Journal oder eine eigene Reihe zu Themen der aDNA-Forschung herausgebildet haben (Bösl 2017, 32ff.). Handbücher und Einführungen bemühen sich zwar darum, Wissenslücken beim fachlichen Gegenüber zu füllen, so auch eine Einführung in dieses Themenfeld für Archäologinnen und Archäologen (Matisoo-Smith/Horsburgh 2012), allerdings sollten sich Angehörige anderer Fächer nie als Experten einer außerfachlichen Disziplin verstehen (Bösl 2017, 35ff.). Letztlich wird doch deutlich, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist. So setzen auch die Archäogenetik oder die aDNA-Forschung mitsamt all ihrer Teildisziplinen ein kooperatives Forschungshandeln voraus. Die Projektplanung, Ausgrabung, Funddokumentation, Probenentnahme bis hin zur Laborarbeit müssen stets als gemeinschaftliche Maßnahmen begriffen werden, zu denen jede Disziplin mit ihren Denkweisen und Methoden beiträgt.
 

4. Entschlüsselung alter DNA von Krankheitserregern

Beinahe parallel zum Durchbruch der Archäogenetik und ihren methodischen Ansätzen hat sich in den letzten Jahren aber auch ein weiterer archäogenetischer Forschungszweig herausgebildet, der sich der Entschlüsselung alter DNA von Krankheitserregern widmet. Nun steht nicht mehr die klassische DNA-Forschung im Vordergrund, die mit Hilfe archäologischer Funde (z.B. Knochen, Zähne oder auch Bodenproben) und der darin enthaltenen DNA einzelne genetische Profile erstellt. Vielmehr geht es hierbei um die gezielte Sequenzierung von alten Krankheitserregern, um anhand des unmittelbaren Vergleichs zwischen den alten und modernen Erregern unterschiedlichster Art deren genetische Evolution zu verstehen (Krause/Trappe 2019, 226). Die willkürliche Suche nach einzelnen geeigneten Skelettresten stellt sich allerdings als ein langwieriges und kostspieliges Unterfangen heraus. Die Tatsache, dass heutzutage breit angelegte Suchen in rascher Zeit durchgeführt werden können, beruht auf einem vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium ausgetragenen Wettbewerb im Jahr 2012. Den Teilnehmern der »Defense Threat Reduction Agency’s Algorithm Challenge« winkte ein Preisgeld von einer Million Dollar, falls sie ein Computerprogramm zur schnellen Entdeckung und Zuordnung von Bakterien- und Virenerbgut entwickeln würden.
Unter den mehr als hundert beteiligten Kooperationen gelang es dem Bioinformatiker Daniel Huson gemeinsam mit seinem Team den Wettbewerb im Herbst 2013 für sich zu entscheiden. Der inzwischen auch für die Archäogenetik angepasste Algorithmus ermöglicht es nun, binnen 24 Stunden eine Milliarde DNA-Sequenzen ihrem Herkunftsorganismus zuzuordnen. Innerhalb großer metagenomischer Datensätze erkennt der Algorithmus, wie viel von der DNA aus dem Skelett menschlich ist und wieviel und vor allem von welchen Mikroben, Bakterien und Viren sie stammt. Daneben zeigt das Programm an, ob innerhalb der untersuchten DNA auch solche von Bakterien oder Viren enthalten sind, die als menschliche Krankheitserreger bekannt sind (Krause/Trappe 2019, 182f.). Voraussetzung dafür bildet eine umfangreiche Datenbank, die alle bereits bekannten Erreger und deren Sequenzen beinhaltet. Bisher unbekannte Infektionskrankheiten oder gar ausgestorbene Erreger sind anhand dieser Methodik natürlich nicht fassbar. Dennoch kann festgehalten werden, dass die Mikroben, welche vorher als ein Abfallprodukt bei der Sequenzierung menschlicher DNA betrachtet wurden, nun mit Hilfe des neuen Verfahrens zum Zielobjekt der aDNA-Forschung werden. Auf diese Weise sind bereits mehrere tausend Skelette im Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena analysiert worden, weshalb die Methode als durchaus erprobt einzustufen ist (Krause/Trappe 2019, 183). Neben konkreten Belegen über Herkunft, Verbreitung und Entwicklung der wichtigsten menschlichen Infektionskrankheiten kann man auch den Einfluss von Krankheitserregern auf das menschliche Erbgut im Laufe der Geschichte rekonstruieren. Aber auch zoonotische Ursprungs-Hypothesen können nun durch den genom-weiten Vergleich von historischen und modernen Krankheitserregern erforscht werden, um letztlich Anpassungsmuster von Erregern auf den menschlichen Wirt besser zu verstehen. 


5. Der große Austausch bei kleinsten Erregern

Bedingt durch die Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 durch Christoph Kolumbus und die dadurch zunehmende Mobilität des Menschen zu bisher unerschlossenen Kontinenten, schnellte die Ausbreitung und die Anzahl tödlicher Epidemien auf der ganzen Welt in die Höhe. Als die Entdecker mit ihren Hochseeschiffen in der Karibik und in Amerika anlandeten, brachten sie eine ganze Bandbreite an Infektionskrankheiten mit sich, die für die Immunabwehr der indigenen Bevölkerung absolut neu waren. Dazu sollte man sich auch ins Gedächtnis rufen, dass die Menschen in Eurasien zu Beginn der Frühen Neuzeit schon etwa 10.000 Jahre lang Ackerbau und Viehzucht betrieben und seit etwa 3000 Jahren in Städten auf dichtem Raum zusammenlebten, wohingegen es all dies im präkolumbischen Amerika weniger häufig gab. Zwar waren die indigenen Ureinwohner Spezialisten im Acker- und Gartenbau und legten ausgeklügelte landwirtschaftliche Systeme an, doch gab es in Südamerika praktisch kaum größere Haustiere und längst nicht so weitreichende Handelsketten wie in Eurasien (Dürr/Kammler 2019, 49-58). Während genau diese Bedingungen allerdings die zentralen Brutherde für neue Krankheiten darstellen und die Europäer folglich in ihrer Geschichte schon einige Epidemien (z.B. Pest, Lepra, Typhus und Cholera) durchlebt hatten, entwickelten und stärkten sie dadurch aber auch ihre adaptive Immunabwehr. So postuliert auch Johannes Krause, dass die etwa 15.000 Jahre währende Abschottung der Amerikaner von den Europäern, wenngleich 14 bis 38 Prozent des Genoms der amerikanischen Ureinwohner auf einen West-Eurasischen Ursprung zurückzuführen sind, ein Hauptgrund dafür sein könnte, dass nach Ankunft der Europäer sehr viele Ureinwohner starben (Krause/Trappe 2019, 115 u. 217). Auf diese Weise konnten sich die neuartigen Bakterien und Viren auf ungestörte Art und Weise in den Körpern der Infizierten vermehren, ohne dass diese vom menschlichen Organismus als schädlich erkannt und von Makrophagen, auch Fresszellen genannt, umschlossen und verdaut wurden. Ein Blick in historische Quellen gibt Aufschluss darüber, dass die Bewohner der neuen Welt an unterschiedlichen Symptomen litten und letztlich verstarben, die Kolonisten jedoch davon größtenteils verschont blieben (Campbell/MacKinnon/Stevens 2010, 189).    


5.1.   Die Cocolitzli-Epidemie zwischen 1545-1550

Zwischen 1545-50 suchte auf dem Gebiet des heutigen Mexikos die »Cocolitzli-Epidemie« (Nahuatl übers. „Große Pest“) die indigene Bevölkerung heim. Während zahlreiche Schriftquellen des 16. und 17. Jahrhunderts das Krankheitsbild der Pocken und Masern in der Neuen Welt beschreiben und inzwischen weitgehend Gewissheit herrscht, dass die nordamerikanischen Ureinwohner der Azteken und Inkas nach der Ankunft der europäischen Kolonisten massenhaft daran starben, so war die Ursache und das Erscheinungsbild der »Cocolitzli-Epidemie« unbekannt (Gerste 2019, 137ff. sowie Joralemon 1997, 77ff.). Anhand von Darstellungen indigener Künstler wird deutlich, dass die Infizierten mit Nasenbluten und blutigem Husten geplagt waren, doch sind die symptomatischen Beschreibungen in vielen zeitgenössischen Überlieferungen kein sicheres Indiz dafür, um welche Krankheit es sich genau handelte (Vågene 2018). Außerdem ließen sich bisher keine direkten physischen Beweise, also keine sichtbaren Spuren am Skelett finden, die auf ein bestimmtes Krankheitsbild hindeuten. Dafür war die Infektionsperiode wohl zu kurz. Insgesamt sollen schätzungsweise 60% bis 90% (ca. 5 bis 15 Millionen Menschen) der indigenen Bevölkerung im heutigen Mexiko und Guatemala, aber vielleicht auch in weiter südlich angrenzenden Regionen, Opfer dieses bisher unsichtbaren Feindes geworden sein (Acuna-Soto/Stahle/Cleaveland/Therrell 2002, 360-362). Dass die Anzahl der Todesfälle durch die eingeschleppten Krankheiten schwer zu bemessen ist, liegt vor allem auch daran, dass die Seuchenzüge oft Begleiterscheinungen einer grausamen Eroberungspolitik waren.

Eine Studie, publiziert in der Fachzeitschrift »Nature« im Jahr 2018 (Warinner/Herbig/Krause [u.a.] 2018), greift die Frage nach den Ursachen der »Cocolitzli-Epidemie« auf und kommt, mit Hilfe umfangreicher Genomsequenzierungen aus dem Befund eines Massengrabs in »Teposcolula-Yucundaa« im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, zu dem Ergebnis, dass viele Menschen an bakteriellem enterischen Fieber, dem sogenannten Paratyphus, starben. Diese Krankheit wird durch die Bakterien »Salmonella enterica paratyphi C« ausgelöst und ist dem reinen Typhus recht ähnlich, verursacht heute jedoch leichter verlaufende Symptome einer Infektion. Die Ansteckung erfolgt über Körperkontakt oder über mit Kot kontaminierte Lebensmittel und verunreinigtes Trinkwasser. Die Bakterien, die sich vor allem im Verdauungssystem aufhalten und von dort ausgehend den gesamten Körper infiltrieren können, lösen bei Infizierten hohes Fieber, Dehydrierung, Verstopfung und später extremen Durchfall aus. Projiziert man nun die heutige Symptomatik eines immunstarken Menschen auf einen indigenen Ureinwohner des 16. Jahrhunderts, kann davon ausgegangen werden, dass der Krankheitsverlauf in diesen Fällen deutlich gravierender verlief. Dementsprechend hoch müssen die Ansteckungsgefahr und die Mortalitätsrate gewesen sein. Noch heute existieren verschiedene Formen von Typhus und Paratyphus vor allem in Entwicklungsländern, deren hygienischen Standards nicht ausreichen, um die Erreger in Schach zu halten. So kommt es jährlich zu etwa 10 Millionen Ansteckungsfällen, wobei jeder hundertste Patient an den Folgen der Krankheit stirbt (Krause/Trappe 2019, 218). Noch heute ist eine häufige Folge in verarmten Regionen, dass Menschen aus Angst ihre Dörfer verlassen. So geschah es wohl auch im 16. Jahrhundert im Süden des heutigen Mexikos im Bundesstaat Oaxaca, als die Bewohner von »Teposcolula-Yucundaa«, einem wichtigen politischen Zentrum der alten Mixteken, aus Angst vor einer Ansteckung flohen und in das benachbarte Tal umsiedelten. Zurück blieb ein sogenanntes Fenster in die Vergangenheit, nämlich der bisher einzige über viele Jahre unberührte Seuchenfriedhof, der mit der »Cocolitzli-Epidemie« in Verbindung steht. 

Unter der Leitung von Nelly Robles García vom Nationalen Institut für Anthropologie und Geschichte Mexikos (INAH) fanden in den Jahren zwischen 2004 und 2010 umfangreiche archäologische Ausgrabungen auf dem ehemaligen Siedlungsareal von »Teposcolula-Yucundaa« statt. Seit dem Jahr 2013 bemühte sich schließlich ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam darum, den Erreger der »Cocolitzli-Epidemie« zu identifizieren, das Verbreitungsgebiet der Seuche einzugrenzen und die folgenschweren Auswirkungen zu rekonstruieren. Zu den beteiligten Institutionen zählten nun auch das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, die Harvard University und die Universität Tübingen. 

Einen ersten Hinweis auf die Bedeutung der Siedlung im Reich der Mixteken liefert die Übersetzung des Siedlungsnamens. Der Begriff »Teposcolula« bedeutet im hispanisierten Nahuatl hier so viel wie »Ort der Kupferäxte«, wohingegen der zweite Teil des Namens »Yucundaa« als »auf der Ebene des Hügels« beziehungsweise »blauer Hügel« übersetzt werden kann (Vågene/Warinner/Barquera/Bos 2018). Kulturell, ethnisch und sprachlich individuell wurden die Mixteken-Königreiche letztlich von den Azteken erobert und im Jahr 1458 in deren Reich eingegliedert. Bildliche Überlieferungen in sogenannten Codices zeugen von einer wohlhabenden Kultur, die jedoch durch die Einverleibung der Azteken viele ihrer Reserven an Gold, Farbstoffe, Edelsteine und anderen Luxusgütern verlor. Während des Krieges zwischen den Spaniern und den Azteken im Zeitraum zwischen 1519 und 1521 stellten sich die Mixteken letztlich auf die Seite der Spanier und kämpften gegen die Azteken. Nach dem Fall der Azteken wurde dann die Region in Neuspanien einverleibt, und »Teposcolula-Yucundaa« von den Spaniern zunächst in »San Pablo Teposcolula« und später in »San Pedro y San Pablo Teposcolula« umbenannt. Interessant erscheint außerdem eine bildliche Darstellung, welche die Einrichtung einer Mission in »Teposcolula« durch den Dominikanerorden in den frühen 1540er Jahren belegt, um von dort ausgehend die Missionsbemühungen in der Region voranzutreiben. So fanden auch Inquisitionsprozesse in »Teposcolula« zwischen 1544 und 1546 statt, als die »Cocolitzli-Epidemie« begann, sich langsam auszubreiten (Abb. 5). Deren Ausbreitungsgebiet kann noch nicht genau eingegrenzt werden; möglicherweise waren neben den Mixteken- und Aztekenpopulationen auch die Maya betroffen, die eigentlich weitestgehend außerhalb des Einflussbereichs des Aztekenimperiums lagen (Vågene/Warinner/Barquera/Bos 2018).
Abb. 5. Der Codex Yanhuitlán (Tafel 19) zeigt den Ablauf eines Inquisitionsprozesses, der von 1544 bis 1546 in »Teposcolula-Yucundaa« gegen Don Domingo de Guzmán, den einheimischen Lord der benachbarten Mixtec-Gemeinde von »Yanhuitlán«, stattfand (Illustriert ca. 1550).
(Códice de Yanhuitlán, Taf. 19. [gemeinfrei] via WikimediaCommons).

Erste Schätzungen ergaben, dass sich auf der sogenannten »Grand Plaza«, dem Hauptplatz der Stadt und der als Seuchenfriedhof bezeichneten Grabungsfläche, etwa 800 Bestattungen befinden könnten. Die meisten dürften, so die Vermutung, Opfer der »Cocolitzli-Epidemie« geworden sein. Zum Zeitpunkt der Ausgrabungen gab es jedoch ein großes Problem: Die Erreger der »Cocolitzli-Epidemie« hinterlassen aufgrund der kurzen Infektionsperiode bis zum Tod keine spezifischen Marker am Skelett, mit deren Hilfe man das Spektrum der in Frage kommenden Infektionskrankheiten hätte eingrenzen können. Aus diesem Grund war recht schnell klar, dass nur umfassende Genanalysen zum gewünschten Forschungsergebnis führen würden. Wie bereits dargestellt, sind geeignete aDNA-Proben nur sehr schwer zu gewinnen. So wirken sich unter anderem der Säuregehalt des Bodens, die Feuchtigkeit des Liegemilieus, der Mikrobenbefall oder das Alter der organischen Reste negativ auf die Erhaltung von DNA aus. Daneben könne man sich auch nie sicher sein, dass DNA-Proben nicht auch durch Verunreinigungen aus der Umwelt (Bakterien-, Pilz-, Virus-, Pflanzen-, Insekten- und Tierorganismen) kontaminiert sind. 

Am ehesten geeignet erschienen schließlich Proben aus der Zahnpulpa, da die dort enthaltene DNA aufgrund der harten Zahnschmelzoberfläche relativ gut vor fremden Einflüssen aus der Umwelt geschützt ist. Dabei gilt: Je einheitlicher die DNA-Proben sind, desto höher ist später ihr Grad an Aussagekraft. Außerdem wurden das genetische Material direkt aus den Umweltproben extrahiert, sequenziert und analysiert. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich maßgeblich von klassischen mikrobiologischen Methoden, bei denen Mikroorganismen vor der DNA-Extraktion kultiviert werden. Insgesamt wurden 24 Zahnproben von verschiedenen Individuen des Seuchenfriedhofs »Grand Plaza« entnommen. Daneben wurden aber auch auf einem weiteren Friedhof im Süden der Siedlung fünf Vergleichsproben geborgen, wobei diese Individuen vor dem Eintreffen der Europäer begraben wurden und somit präkolumbisch zu datieren sind. 

Die neu einwickelte Software von Daniel Huson, das sogenannte »MALT« war dafür geradezu prädestiniert, denn der erprobte Algorithmus erkennt nicht nur, wie viel von der DNA aus dem Skelett menschlich ist und wieviel von Mikroben, Bakterien und Viren stammt und vor allem von welchen, sondern zeigt auch an, ob innerhalb der untersuchten DNA auch solche von Bakterien oder Viren enthalten sind, die als menschliche Krankheitserreger bekannt sind. »MALT« erfordert gleichzeitig aber auch eine stets aktuelle und möglichst umfangreiche Referenzsequenzdatenbank (»NCBI RefSeq«: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/refseq/) zum Abgleich, um durch das Herausfiltern von verunreinigender DNA oder verschiedenen Kategorisierungssystemen einen hohen Grad an Genauigkeit zu erzielen.    

Unter Hunderten von Bakterienarten wurde »Salmonella enterica paratyphi C« als potenzieller Krankheitserreger bei zehn von insgesamt 24 Proben vom Seuchenfriedhof, der »Grand Plaza«, identifiziert. Da dieser Erreger heute nur noch recht selten eine Infektion beim Menschen hervorruft, war dieses Ergebnis sehr unerwartet. Es konnten sogar für fünf Individuen komplette S. Paratyphi C-Genome rekonstruiert werden, wogegen die Vergleichsproben des weiteren Friedhofareals im Süden der Siedlung durchwegs negativ ausfielen und der Erreger demnach wohl nicht in präkolumbischer Zeit vorhanden gewesen sein dürfte. Eine zusätzliche Bodenprobe fiel ebenfalls negativ aus. Anhand dieser neuen methodischen Herangehensweise kann letztlich auf Basis eines metagenomischen Ansatzes und mit Hilfe der neuartigen Software nachgewiesen werden, dass »Salmonella enterica paratyphi C« während der »Cocoliztli-Epidemie« zwischen 1545 und 1550 mindestens einer der in der indigenen Bevölkerung in »Teposcolula-Yucundaa« zirkulierenden Krankheitserreger war. Allerdings bleibt die Frage offen, ob von einer breiten Durchseuchung der indigenen Population ausgegangen werden kann und man eher von einer globalen Pandemie sprechen müsste, oder ob es sich nicht eher um ein kleinräumiges Phänomen handelte. Dazu müssten entsprechende Untersuchungen an weiteren archäologischen Fundstellen durchgeführt werden. Daneben beschränkt sich die vorgestellte Nachweismethode bisher prinzipiell auf den DNA-Abgleich von Bakterien und Viren und blendet andere Vektoren, wie etwa parasitäre Überträger oder Würmer, aus. Es ist durchaus vorstellbar, dass die nachgewiesene bakterielle Infektionskrankheit »Salmonella enterica paratyphi C« nur eine Begleiterscheinung einer viel gravierenderen Epidemie war. So ist anzunehmen, dass auch eine ganze Reihe anderer Krankheitserreger in »Teposcolula-Yucundaa« zugegen waren, die bisher aufgrund mangelnder archäologischer Befundumstände nur noch nicht identifiziert werden konnten. Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2018 (Zhou/Lundstrøm/Tran-Dien [u.a.] 2018) kann zudem als Beleg herangezogen werden, dass derselbe Salmonellenstamm bereits im ausgehenden Hochmittelalter in Europa nachweisbar ist. Hier wurde die DNA einer um 1200 n. Chr. verstorbenen norwegischen Frau aus Trondheim positiv auf den Erreger getestet. Zusammenfassend sind also bisher nur Hypothesen zum Ursprung der Epidemie möglich und es bleibt umso spannender, ob Archäologen noch weitere derartige Fenster in die Vergangenheit an verschiedenen Orten finden, um das Rätsel um die »Cocoliztli-Epidemie« endgültig zu lüften. 

5.2.   Ein ungebetener Gast an Bord

Abb. 6
Holzschnitt eines an der Syphilis
erkrankten Landsknechtes
von Albrecht Dürer (1496).
(Wellcome Images, London.
[CC BY 4.0]
via WikimediaCommons).
Mit der Rückkehr der ersten Expedition des Kolumbus 1493 nach Spanien verbreiteten sich nicht nur Mais, Kartoffeln, Tomaten und Tabak in der Alten Welt, an Bord der Schiffe hatte sich auch ein ungebetener Gast eingenistet: Die Syphilis. Überlieferungen der im Deutschen bald auch als »die bösen Blattern« und im Englischen als »malicious pox« bezeichnete Geschlechtskrankheit finden sich recht früh in den Schriftquellen. So berichten zwei spanische Ärzte, Fernandez de Oviedo und Ruy Diaz de Isla, die während der Anlandung der Heimkehrer oder kurz darauf zugegen waren, von merkwürdigen Symptomen (Bloch 1901, 180ff. sowie Gerste 2019, 108f.). Trotz strenger Anordnungen – die Bekehrung zum Christentum stand im Fokus – scheinen sich einige Matrosen mit den fremden Indianerfrauen vergnügt zu haben. Als Patient Nr. 0 wurde sogar ein Begleiter von Kolumbus namentlich genannt: Es soll sich dabei um den spanischen Kommandanten der »Pinta« handeln, der als Martin Alonzo Pinzón Einzug in die Geschichtsschreibung erhielt (Bankl 2004, 25). Die rasche Verbreitung der neuartigen Infektion seit der Mitte der 1490er Jahre sorgte jedenfalls wie ein Paukenschlag für großes Entsetzen. So erschuf Albrecht Dürer bereits im Jahre 1496 den Holzschnitt eines an der Syphilis erkrankten Landsknechtes, dessen Körper mit Geschwüren nur so übersät war (Abb. 6.). Doch stammen die neuen Erreger wirklich aus der Neuen Welt und falls ja, wie haben sie sich dort verbreitet? Während amerikanische Forscher davon überzeugt sind, dass die Europäer die Bakterien in die Neue Welt einschleppten, so geben neuste genetische Analysen von Syphilis-Erregern aus Amerika und Europa Grund zum Anlass, dass wir es mit einem weitaus komplexeren Wechselspiel zwischen beiden Kontinenten zu tun haben könnten. 

Bis heute ist also die Frage, von wo aus sich die Syphilis verbreitet hat, noch nicht abschließend geklärt. Sicher ist nur, dass sie sich bis 1530 in weiten Teilen Europas epidemisch ausgebreitet hat. Diese Verbreitungswege der Krankheit in der Alten Welt lassen sich möglicherweise noch etwas genauer rekonstruieren. Noch im gleichen Jahr, als die in Spanien heimgekehrten »Westindienfahrer« gebührend gefeiert wurden, erhob König Karl VIII. von Frankreich seine Erbansprüche auf das Königreich Neapel und zog mit einem großen internationalen Söldnerheer von etwa 30.000 Mann in Richtung Süden. Das Tross bestand mitunter aus zahlreichen Marketenderinnen und Prostituierten, die die Moral der Truppe aufrechterhalten sollten. Als die Armee Ende Januar 1495 Neapel erreichte, kommt es zur Belagerung, in deren Folge Nahrungsengpässe auf italienischer Seite entstanden und der überflüssige Anhang, wie etwa Schlossgesinde, Soldatenhuren und die Frauen, womöglich teilweise schon an der Syphilis erkrankt, in das Lager der Franzosen getrieben wurden. Bessere Voraussetzungen für eine Ausbreitung der Geschlechtskrankheit konnte es nicht geben. Als das stark durchseuchte französische Heer kurz darauf wieder nach Norden zurückkehrte, wurde es von den Truppen Kaiser Maximilians I. zerschlagen, sodass sich die Infektion ungestört über ganz Europa ausbreiten konnte (Bankl 2004, 27 sowie Krause/Trappe 2019, 220f.). 

Im weiteren Verlauf entstand eine Vielzahl an unterschiedlichen Bezeichnungen für die Krankheit. Jede Nation versuchte die Schuld für die Ausbreitung von sich zu weisen. In den Nachbarländern Frankreichs war sie als »Französische Krankheit« bekannt, wogegen die Franzosen sie als »Neapolitanische Krankheit« bezeichneten. In Polen war es etwa die »Deutsche Krankheit«, in Russland die »Polnische Krankheit« (Bankl 2004, 29f. sowie Jacobsen 2012, 100f.). Aus Angst vor weiteren Ansteckungsfällen wurden die Betroffenen, die ohnehin zumeist aus gesellschaftlich geächteten Personenkreisen kamen, wie etwa Landsknechte, Deserteure, Vagabunden und Prostituierte, in desolate Lebensumstände gedrängt. So schoss beispielsweise die Zahl spezieller Siechenhäuser, die sogenannten »Franzosenhäuser«, mit Beginn der Frühen Neuzeit vor allem in Süddeutschland in die Höhe. Aber auch die Städte mussten sich auf die neue Bedrohung einstellen und verschärften ihre Hygienevorschriften und Kontrollen an den Stadttoren (Bankl 2004, 31). Zu diesem Zeitpunkt stieg auch die Nachfrage nach der Wunderdroge »Guajakholz« blitzschnell an, als man merkte, dass die weit verbreite Quecksilber-Therapie (daher wohl auch der Begriff »Quacksalber«) mehr Vergiftungen verursachte, als dass sie eine dauerhafte und effektive Behandlungsmethode darstellte. Aus dem geraspelten Holz, des vor allem in Südamerika und auf den karibischen Inseln vorkommenden Baumes, gewann man ein Extrakt, welches als Tee direkt eingenommen oder auf die betroffenen Stellen auftragen werden konnte (Gerste 2019, 114f. sowie Jacobsen 2012, 103f.). 

Die Syphilis-Bakterien mit der Bezeichnung »Treponema pallidum«, die fast ausschließlich beim sexuellen Kontakt übertragen werden, vermehren sich vor allem im Genitalbereich und können von dort ausgehend den gesamten Körper beeinträchtigen. Im weiteren Krankheitsverlauf zerstört die Immunabwehr des Körpers die umliegenden Zellen, sodass sich schmerzhafte Löcher bilden können. Vereinzelt kommt es auch zu angeborenen syphilitischen Knochenaffektionen oder etwa Zahnmissbildungen bei Kindern, wenn die Mutter während der Schwangerschaft an der Syphilis erkrankt ist. So starben während der etwa fünfzig Jahre andauernden Syphilis-Epidemie des 16. Jahrhunderts schätzungsweise 16 Millionen Menschen an einer besonders schweren Form der Syphilis. Die Erreger der sogenannten Neurosyphilis, die heutzutage glücklicherweise weitestgehend eingedämmt werden konnte, befallen das Nervensystem des Menschen, wodurch die Infizierten schwere neuronale Schäden davontrugen. 

Diese Tatsache stellt die Archäogenetik allerdings vor ein großes Problem, denn Proben mit dieser Symptomatik lassen sich nur sehr schwer in Skelettresten aufspüren. Aus diesem Grund waren Untersuchungen ganz spezieller Skelette nötig, um die aDNA des Erregers erstmals sequenzieren zu können. Im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2018 (Schuenemann/Lankapalli/Barquera [u. a.] 2018) wurden die Skelette von fünf mexikanischen Kindern untersucht, die alle im Zeitraum zwischen 1681 und 1861 verstarben und durchweg nicht älter als neun Monate wurden. Sie waren alle in einem ehemaligen Kloster in Mexiko-City bestattet worden und offenbarten bei einer näheren anthropologischen Analyse der Knochen deutliche Skelettveränderungen, welche durch die angeborene Syphilis ausgelöst wurden. Dieser Fall tritt allerdings nur bei Neugeborenen auf, wenn sich die Bakterien noch nicht weiter in den Körper zurückgezogen haben und sie dadurch vom noch unausgereiften Immunsystem der Kinder nicht attackiert wurden. Das Ergebnis der Studie ist recht überraschend, denn in drei der fünf Skelette konnten Erreger nachgewiesen werden, die nicht der Syphilis, sondern der sogenannten Frambösie, einer Unterform des gleichen Bakterienstamms mit ähnlichen Symptomen, zugewiesen werden konnten. Dieser Nachweis begründet den Verdacht, dass derartige Verformungen des Skeletts oder scheinbar syphilitische Knochenaffektionen nicht eindeutig der Syphilis zugewiesen wurden und es so wohl viele Fehldiagnosen gibt (Harper/Zuckerman/Harper [u.a.] 2011). Kritisiert wird in diesem Kontext, dass viele Studien keine eindeutigen diagnostischen Kriterien benennen, ausreichende Informationen über die Methodik zur Datierung von Proben fehlen und häufig auch keine qualitativ hochwertigen Fotos des Krankheitsbildes am Skelett vorliegen. So könnten sich in den letzten Jahrzehnten einige Fehlinterpretationen von Skelettresten in Europa eingeschlichen haben, deren diagnostische Kriterien sowie deren Datierung möglicherweise fehlerhaft sind und durch Genanalysen erst noch verifiziert werden müssten (Gerste 2019, 100). 

Weitere Untersuchungen an mittlerweile fünf Affenpopulationen in Ostafrika verdeutlichen diese Problematik. Während die untersuchten Individuen zunächst eindeutige Anzeichen des Syphilis-Erregers aufzeigten, stellte sich im Labor heraus, dass die Tiere an der Frambösie erkrankt waren (Krause/Trappe 2019, 222). Demgegenüber stehen eindeutigere Nachweise von syphilitischen Veränderungen in der Neuen Welt vor Ankunft von Kolumbus, die beispielsweise in der heutigen Dominikanischen Republik auf Gräber bis in das 8. Jahrhundert zurückreichen. Dort kann die Häufigkeit der syphilitischer Knochenaffektionen in der Region anhand des aktuellen Forschungsstands zwischen 6% und 14% beziffert werden, sodass die Vermutung naheliegt, dass von einer weitaus höheren Infektionsrate ausgegangen werden muss, da natürlich nicht jeder Infizierte von Knochenaffektionen beeinträchtigt war (Rothschild 2005). 

All diese Studien können als ein Indiz dafür betrachtet werden, dass die Syphilis eine Zwillingsschwester gehabt haben könnte, die bislang oft nicht als solche erkannt wurde. So könnte es eine Art Wechselbeziehung zwischen Amerika und Europa gegeben haben, gemäß derer die Syphilis-Erreger aus Amerika mit den ersten Heimkehrern nach Europa gekommen sein könnte, wohingegen die Europäer die Frambösie in die Neue Welt eingeschleppt haben könnten. Als Ursprungspopulation kämen beispielsweise afrikanische Affen infrage, die als Träger des gemeinsamen Vorfahren der Frambösie und Syphilis dazu beigetragen haben, dass sich der Erreger vor etwa 50.000 Jahren erst aufspaltete und sich ausgehend von Afrika mit dem modernen Menschen langsam in Richtung Europa und von dort aus über die Bering-Landbrücke bis nach Amerika ausbreitete. Demnach hätte sich die moderne Syphilis in Amerika eingenistet, wogegen die Frambösie in Europa sesshaft geworden wäre. Dass die Frambösie in Europa schon während des Mittelalters weit verbreitet war, wird anhand zahlreicher Skelettfunde aus Großbritannien deutlich, die Spuren scheinbar syphilitischer Knochenaffektionen aufweisen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese Missbildungen weniger auf die Syphilis, sondern mehr auf die Frambösie zurückgeführt werden können (Krause/Trappe 2019, 222f.). 

Zur Ergänzung des Erkenntnisstandes muss auch auf das Ergebnis einer weiteren Studie (Harper/Ocampo/Steiner [u.a.] 2008) hingewiesen werden: Diese kommt zu dem Schluss, dass möglicherweise nicht-sexuell übertragbare Unterarten der Syphilis bereits lange Zeit vor Kolumbus in der Alten Welt grassierten und sich die sexuell übertragbare Krankheitsform erst durch die Rückkehr von Kolumbus in seiner Heimat ausbreitete. Letztlich steht jedenfalls fest, dass nur detaillierte Genanalysen unter sterilen Laborbedingungen Aufschluss darüber geben können, an welcher Krankheit ein Toter wirklich gelitten hat. 

Wie relevant und aktuell das Thema heutzutage ist und welche Rolle es auch für die Archäologie spielt, zeigen umfangreiche archäologische Ausgrabungen in St. Pölten in Niederösterreich auf dem Areal des Domplatzes. Dort wurden innerhalb eines zehnjährigen Grabungsprojekts in Millionenhöhe insgesamt 22.134 Skelette und zahlreiches Fundmaterial aus der Zeit zwischen dem 9. Jahrhundert und 1779 geborgen. Dadurch, dass die Erhaltungsbedingungen des Fundortes optimal sind, bietet sich ein einmaliges Bio-Archiv, das mittels der aus den Skelettresten geborgenen DNA, Proteinen, Spurenelementen und Isotopen wichtige Einblicke in die Demographie, vor allem aber auch in die Krankheitsgeschichte, geben wird. Erwartet werden Aussagen zu den damaligen Lebensumständen, den vorherrschenden Krankheiten oder etwa der Anpassung an klimatische Extremwettererscheinungen und letztlich zu Mensch-Umwelt-Beziehungen allgemein. Für die Thematik der Syphilis ist das Grab eines etwa siebenjährigen Kindes außerordentlich interessant, das mindestes 50 Jahre vor die Reisen von Christoph Kolumbus datiert wird (Gaul/Grossschmidt/Gusenbauer [u.a.] 2015). Das Skelett des Kindes weist die für die Syphilis typische Zahnmissbildungen auf, sodass das Kind bereits im Mutterleib mit der Syphilis infiziert worden sein muss. Sollte dieses Kind tatsächlich an der Syphilis und nicht an der Frambösie erkrankt gewesen sein, würde das bedeuten, dass die Syphilis bereits vor der Heimkehr der Entdecker in Europa existierte. Dieser Aspekt spricht somit für eine »Präkolumbische Hypothese«, gemäß derer die amerikanischen Forscher Recht behielten und es bereits vor 1492 in Europa Syphilis nachweislich gab. Demnach seien sowohl die Syphilis als auch die Frambösie von Europa in die Neue Welt eingeschleppt worden. Aktuell sprechen die vorliegenden Daten am ehesten für die These eines Austauschs, doch wird eine Entscheidung erst durch eine umfangreiche DNA-Datenserie aus Amerika und Europa möglich sein. Die Grabungen in St. Pölten sind bisher nicht ausgewertet und so fehlt bisher auch der aDNA -Nachweis der Frambösie beziehungsweise der Syphilis. Eine archäologische Ausstellung, die in den nächsten Jahren im Stadtmuseum St. Pölten geplant ist, wird hoffentlich neue Forschungsergebnisse präsentieren können (Ronald 2019).    

6. Relevanz des Themas und Ausblick

Die Geschichte der Seuchen wird letztlich wahrscheinlich nie zu Ende erzählt sein. Besonders in unserer heutigen hoch entwickelten und global vernetzten Welt können sich neuartige Erreger rasant ausbreiten. So auch im Falle von »SARS-CoV-2«, dessen Verbreitung inzwischen pandemische Züge angenommen hat (Stand: 01.04.2020). Einzelne Infektionsketten können nicht mehr rekonstruiert werden, weshalb in weiten Teilen der Welt Ausgangsbeschränkungen oder sogar Ausgangssperren gelten, damit das Gesundheitssystem nicht gleichzeitig durch eine Vielzahl von Patienten überlastet wird. 

Um auch in Zukunft im Wettrüsten zwischen Infektionskrankheiten und wirksamen Medikamenten sowie auch Therapieansätzen mithalten zu können, müssen Forscher innerhalb eines interdisziplinären Rahmens zusammenarbeiten. Die größte Herausforderung wird es sein, die teils Jahrhunderte alten bakteriellen und viralen Erreger aufzustöbern und deren genetische Evolution zu untersuchen. Denn erst der unmittelbare Vergleich zwischen den alten und modernen Erregern ermöglicht es der modernen Medizin, den Fortschritt zum Wohle unserer Gesundheit aufrechtzuerhalten und stets ein geeignetes und wirksames Gegenmittel zu kreieren und griffbereit zu halten (Krause/Trappe 2019, 226). An dieser Stelle kommt eben auch die Archäologie ins Spiel, die sich maßgeblich an der Suche nach derartigen Fenstern in die Vergangenheit, wie etwa dem ehemaligen Seuchenfriedhof in »Teposcolula-Yucundaa«, beteiligen kann. Aber auch in Ergänzung zu den archäologischen Ausgrabungen in St. Pölten wird deutlich, dass neben dem reinen archäologischen Erkenntnisgewinn zukünftig der (a)DNA-Forschung und der Archäogenetik eine steigende Bedeutung zukommen wird. 

Wie wichtig der Vergleich zwischen den alten und modernen Erregern ist und welchen Mehrwert er in der modernen Humanmedizin einnimmt, wird beispielsweise auch von Sharon N. DeWitte hervorgehoben (DeWitte 2016). Als Spezialistin im Fachbereich der Paläoepidemiologie am Department of Anthropology der University of South Carolina gibt sie in ihrer Publikation einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zu historischen Seuchen- und Tuberkulose-Epidemien und stellt verschiedene Nachweismethoden anhand von Bestattungskontexten, diagnostischen Skelettläsionen und molekularen Daten vor. Auf diesem Wissensstand muss zwingend fächerübergreifend aufgebaut werden. Wir sollten deshalb nie vergessen, dass die Spezies »Mensch« es erst vor etwa hundert Jahren vom weitgehend wehrlosen Opfer zahlreicher Seuchen, wie beispielsweise durch Pest, Lepra, Paratyphus, Tuberkulose, Syphilis, Pocken, Grippe und Cholera, zu einem relativ gesunden Lebensstandard geschafft hat – zumindest dort, wo genügend Geld für ein Gesundheitssystem zur Verfügung steht. Eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre wird es also sein, die Evolution dieser unzähligen Bakterien und Viren zu verstehen, falls die Geißeln der Menschheit - wie von Epidemiologen prognostiziert - irgendwann wieder zurückkehren, damit wir ihnen nicht schutzlos ausgeliefert sind (Krause/Trappe 2019, 226).




7. Literatur- und Quellenverzeichnis


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Tim Röder befindet sich derzeit auf der Zielgeraden seines Masterstudiums "Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit" in Bamberg.  Er plant seinen Abschluss für 2021 mit einer Masterarbeit voraussichtlich zu einem Thema der Wüstungsforschung in Oberfranken. 
Dieser Blogbeitrag ist aus einer Hausarbeit des Seminars „Globalisierung im Spiegel archäologischer Befunde und Funde“ im Wintersemster 2019/20 am Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit der Universität Bamberg entstanden.




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