Die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand in Syrien haben sich zerschlagen, die Bombardierungen in Aleppo sind intensiver denn je. Es ist anzunehmen, dass die syrische Regierung sich einen Dreck um die bisher überlebenden Bewohner schert - im Gegenteil, sie werden allesamt als Terroristen diffamiert. Alle Krankenhäuser im Rebellengebiet Aleppos sind zerstört.
Angesichts dieser Schrecken scheint es auf den ersten Blick zynisch,
sich um die Altertümer und Kulturgüter Syriens zu sorgen. Doch ist das
auch ein Teil der Hoffnung, die man nicht verlieren darf. Ohne einen
Orientierungspunkt in der Vergangenheit, wird es nicht möglich sein, zu
einem Frieden und einer Neuformierung der syrischen Gesellschaft zu
gelangen.
Darum auch diesen Monat der übliche Rückblick auf die Entwicklung der Situation
archäologischer Kulturgüter in Syrien und Irak, wie sie sich in Medienberichten spiegelt.
Vorweg stelle ich aber ein Video der Syria Campaign ein, um den Alltag und die Menschen in Aleppo ins Bild und ins Bewusstein zu bringen.
Eine detaillierte Zusammenstellung der Kriegsereignisse in Syrien mit Quellenangaben bietet die Seite
http://syria.liveuamap.com/en
Schadensmeldungen
Verständlicherweise gilt bei den neuen Bombenangriffen das Interesse der Meldungen, die aus der belagerten Stadt nach außen dringen, erst einmal den Menschen und nicht den Denkmälern. Vieles war auch zuvor bereits zerstört.
BBC zeigt Bilder aus dem zerstörten Bazar in Aleppo
Die Zerstörung von Aleppo als "Urbizid"
Bilder der Zitadelle von Aleppo, die derzeit im Stadtgebiet einen Vorposten des syrischen Regime im umliegenden, noch von Rebellen gehaltenen Gebiet darstellt:
Heritage for Peace Damage Newsletter für Syien:
Berichte der DGAM
Bericht über eine Inspektionsreise im Irak
Antikenhandel
Verkäufe des Daesh und eine Verschärfung der Gesetze in Israel
Der
Irak benötigt nach Aussagen seines Außenministers weiterhin
internationale Unterstützung im Kampf gegen Raubgrabungen und
Antikenhehlerei, da ein effektiver Schutz der zahlreichen
archäologischen Fundstellen vor Ort nicht zu bewerkstelligen ist.
Ein Bericht in Live Science bringt neue Zahlen zum Umfang des Antikenhandels, erhoben
anhand des Imports von Goldmünzen in den Unterlagen des US-Census
Bureaus seit 2003. Leider sind die Zahlen nicht besonders übersichtlich
präsentiert.
Es
zeigen sich deutlich steigende Importe von Antiken aus der Türkei und
Ägypten in die USA nicht zuletzt seit dem arabischen Frühling 2011. Seit
2003 betrug der Zollwert der aus der Türkei in den USA importierten
Antiken 283 Mio $. Das sind wohlgemerkt Importe allein aus
der Türkei, die für Antiken aus dem Land eigentlich strenge
Ausfuhrbestimmungen hat, hinzu kommen Importe aus anderen Staaten. Auch
geht es bei den angegebenen Werten um die Zoll-, nicht um die
tatsächlich erzielten Marktwerte.
US-Importe | kg Goldmünzen |
aus der Türkei |
| pro Jahr |
1989-2002 | 1,1 | 0,08 |
2003-2010 | 26 | 3,25 |
2011-Juli 2016 | 51 | 9,27 |
Die
Zahlen - auf den ersten Blick zu niedrig, um den Krieg des Daesh zu
finanzieren - sagen nichts über die These "Antikenhandel finanziert
Terror" aus. Erstens handelt es sich um Zollwerte, nicht um Markterlöse,
zweitens kann nicht abgeschätzt werden, was am Zoll vorbei geht und
geschmuggelt oder anders deklariert wird, drittens ist anzunehmen, dass
die Mehrzahl der Objekte erst mal in Zolllager geht. Die sollen in den
letzten Jahren in den arabischen Staaten boomen. In dem Fall hätte Daesh
sein Geld bereits bekommen, von der Hoffnung der Händler kreditiert,
das Zeug Jahre später mit geeigneten Provenienzen (für Deutschland nach
dem neuen Kulturgutschutzgesetz z.B. vor 2007 aus Syrien exportiert,
seitdem in alter Sammlung) dann auch bei Sammlern im Westen und anderswo
absetzen zu können. Schaut man sich die Zeiträume an, die es braucht,
bis einmal sichergestellte Objekte nach einer Rückgabe wieder auf dem
Markt auftauchen (vergl. Dubioses bei Christies),
muss man da durchaus mit 10 Jahren Verzögerung rechnen, in denen die
Funde in irgendwelchen Zollagern warten. Insofern widerlegen die Zahlen,
die auf Daesh-Dokumenten basierte These "Antikenhandel finanziert
Terror" eben auch nicht. Die Zahlen zeigen mit ihrer Steigerung vor
allem, dass bisherige Maßnahmen wirkungslos sind.
Desweiteren
gibt es Hinweise auf direkte Schiffsladungen, wie beispielsweise 2013
aus dem Irak nach Puerto Rico mit einer Fracht von Antiken im Wert
von 3,5 Mio$.
Ein
Beitrag auf TruthDig wiederholt ältere Schätzungen nach "US National
Security officials" über die Gewinne von Daesh, angeblich etwa 150-200
Mio $ pro Jahr.
steigende Zahl von Fälschungen auf dem Markt:
Maßnahmen
Schulungsprogramm
Evakuierung - hier keine Archäologie, aber auch eine Problematik der Kulturguterhaltung: die Sicherung einer Samenbank aus Aleppo
Kulturarbeit in Berlin
Führungen für Flüchtlinge aus Syrien und Irak in Berlin:
Eine Kulturveranstaltung musste indes nach Drohungen abgesagt werden:
Restaurierungsarbeiten
In dem Regime-kontrollierten Homs haben mit Unterstützung der UN - parallel zu den nach dem gescheiterten Waffenstillstand noch verstärkten Bombardierungen in Aleppo - Aufräum- und Wiederaufbaumaßnahmen begonnen.
Russisches Engagement bei der Schadenserhebung und Restaurierung:
Eine russische Expedition - entstandt vom russischen Verteidigungsministerium - wird im Spätjahr 2016 vor allem die Toten Städte im Nordwesten Syriens inspizieren; konkret genannt werden Jebel Seman 1-3. Laut Bericht sind von den 8 als archäologische Parks konziperten Stätten vier unter dern Kontrolle der al-Nusra-Front und deren Verbündeten, drei stehen unter kurdischer Kontrolle und Sankt Simeon Stylites ist zwischen "Rojava Kurds" und Islamisten umkämpft.
Öffentlichkeitsarbeit im Irak: TV-Spot unter Beteiligung der UNESCO
Tagungen
Berichte
Ankündigungen:
Verfolgung von Kulturgutzerstörung als Kriegsverbrechen:
Reaktionen auf das Den-Haager-Urteil zu den Kulturgutzerstörungen in Mali als Kriegsverbrechen (siehe
Der Präzendenzfall: Kulturgutzerstörung ist Kriegsverbrechen. Archaeologik [1.10.2016]):
ILLICID
3D-Modelle und Digitalisate
Digitale Kopien gehen natürlich nicht an den Kern des Problems der Kulturgutzerstörung und Raubgräberei und können Originalbefunde auch in keiner Weise ersetzen. Sie eignen sich für Symbolpolitik und Proteste gegen Daesh - und für eine Wissenschaftsdidaktik, aber nur für eine reduzierte Zahl wissenschaftlicher Fragestellungen.
Mit der Errichtung des Triumphbogens aus Palmyra in New York werden ethische Fragen der 3D-Modelle diskutiert.
Der Artikel von Sara Bond thematisiert daher auch die ethischen Aspekte der 3D-Rekonstruktionen. Sie diskutiert vor allem den Aspekt des “digital colonialism”und verweist hier auch auf die nicht selten restriktiv gehandhabten Urheberrechtsansprüche, die mit solchen 3D-Modellen verknüpft sind. Um eine Aussage zu bieten, benötigen auch 3D-Modelle ergänzende Informationen, was bei der Neuerrichtung des Triumphbogens aus Palmyra in New York offenbar fehlt.
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Baaltempel in Palmyra
(Foto: M. Scholz 1993) |
Wenn schon eine Diskussion um die ethische Dimension von 3D-Rekonstruktionen geführt wird, so sollte man im Kontext der Situation rund um Daesh viel eher fragen, ob solche Aktionen und Digitalisierungen nicht eher von einer grundegenden Lösung der Zerstörungsproblematik ablenkt: Effektives Handeln gegenüber Raubgräbern und Antikenhändlern einerseits und Gerechtigkeit und gesichete Existenz für die Menschen in den betroffenen Regionen andererseits.
Urlaubsbilder gefährdeter Kulturdenkmale aus Syrien und Lybien gesucht:
Digitalisierung der Museumsbestände von Deir-ez-Zor:
Allgemeine Berichte
Die Beobachtung, dass bislang kaum Antiken im westlichen Handel aufgetaucht sind (die durch den LiveScience-Artikel nun etwas relativiert wird), kann jedoch nicht als Beleg gewertet werden, dass die Plünderungen nur halb so schlimm seien und der Westen daran nicht beteiligt gewesen sei. Nach den Strukturen des Marktes werden die Objekte erst in den kommenden Jahren aus ihren Lagern heraus auf den Markt sickern, wenn unschuldige Provenienzen konstruiert sind.
- CultureUnderThreat: Recommendations for the US Governmen. #CUT Task Force Report, April 2016
- R. Bevan, The Destruction of Memory. Architecture at War 2(2016)
- P. Veyne, Palmyre. L'irremplaçable trésor (Paris 2015)
Ein Bericht des russischen Sputnik vergleicht die Zerstörungen des Daesh mit den Zerstörungen im Kosovo.
Links
Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.