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Montag, 2. Dezember 2013

Die Entführung des Ganymed: ein Museumsraub in Karthago

Aus dem Musée paléochrétien de Carthage ist am Freitagabend, den 8.11.2013 eine Statue des 5. Jahrhunderts verschwunden. Einer der Verdächtigten ist inzwischen tot, die Statue bleibt verschwunden

geklaute Statuette des Ganymed
aus dem musée paléochrétien Carthage
(Foto: Pascal Radigue,2001,
bearbeitet von M00tty [CC BY-SA 3.0],
via WikimediaCommons)
Die 49 cm hohe Marmorstatuette zeigt Ganymed neben einem Adler. Die Figur des Ganymed wurde 1977 bei regulären Grabungen in Karthago in einem Haus des 6. Jahrhunderts gefunden. Sie war dort wohl in einem Speisesaal aufgestellt und zeigt die Rolle, die antike Mythologie auch in Zeiten spielte als die römische Welt und speziell Nordafrika längst christlich war.

Karthago, einst Mittelpunkt der Punier und mächtiger Gegenspieler Roms, war auch nach der römischen Eroberung ein wichtiger Zentralort der für die Getreideversorgung Roms bedeutenden nordafrikanischen Provinzen. Seit Jahrzehnten finden dort Ausgrabungen verschiedener internationaler Forschergruppen statt. Seit 1977 ist das Ruinengelände UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Statue war aus einer Vitrine im Museum in der Nacht von Freitag auf Samstag gestohlen worden.

Der Generaldirektor des Nationalen Instituts für Denkmalpflege (Institut national du patrimoine  - INP) in Tunis, Adnane Louhichi, hält die Statuette, die so etwas wie das Emblem des Museums darstellte, für unverkäuflich. Er appellierte an die Diebe, sie zurückzugeben und mahnte zugleich eine bessere Ausstattung der Museen und eine touristische Aufwertung der archäologischen Fundstellen an. Zugleich verwies er auf die Plünderung von Fundstellen und die Rolle einer organisierten Mafia:

Am 12. November wird von Verhören berichtet.


Das Fehlen von Spuren eines Einbruchs lenkt den Verdacht der Ermittlungskommission auf die Museumswächter. Vier Personen werden verhaftet.
Einer der verdächtigten Wächter wird vom Untersuchungsgefängnis in die Notaufnahme eines Krankenhaus in Tunis gebracht. Dort stirbt er kurz darauf. Der 65jährige sei nach Auskunft des Justizministeriums einem Gesundheitsproblem erlegen. Ergänzend heißt es, der Tote habe Diabetis gehabt.

In einem Beitrag für HuffingtonPost Maghreb nimmt der Journalist Youssef Cherif, der einst Archäologie studiert hatte, die rasch versandete Affäre zum Anlaß über die Rolle des archäologischen Kulturerbes in der Gesellschaft Tunesiens zu reflektieren:
Er beklagt das geringe Interesse der Bevölkerung, die Bedenkenlosigkeit, mit der Fundstellen einplaniert werden, zugleich aber die Türen moderner Bungalows mit römischen Kapitellen verziert werden.
Hingewiesen wird auf die Verwerfungen in der tunesischen Denkmalpflege, die nach dem Sturz des Ben Ali halbherzig reformiert werden sollte. Die frühere Führungsriege wurde zwar abgesetzt, besitzt aber nach wie vor Einfluß. Youssef Cherif formuliert die Vermutung, dass der Raub des Ganymed eine gezielte Sabotage der Denkmalpflege sein könnte, um zu demonstrieren "früher war alles besser".

Ein Beitrag bei La Presse http://www.lapresse.tn/11112013/74769/le-vol-de-trop.html vom 11.11. stellt den Raub ebenfalls in einen größeren Kontext und führt zahlreiche Fälle des Antikenraubs in Tunesien an.

Weitere Links

Literaturhinweis
  • E.K. Gazda, Ganymede and the eagle marble group. In: Excavations at Carthage 1977 conducted by the University of Michigan 6 (Ann Arbor 1981) 125-178.
  • E.K. Gazda, Ganymede and the Eagle. A Marble Group from Carthage. Archaeology 34, 1981, 56–60.

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