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Donnerstag, 1. März 2012

TV-Shows plündern archäologische Fundstellen

Zwei neue Fernsehserien beunruhigen derzeit die Kollegen in den USA - und sollten uns auch hier zu denken geben.

Spike TV hat angekündigt ab 20. März "American Digger" auszustrahlen, eine Serie, die einen ehemaligen Wrestler (und jetztigen Inhaber einer Schatzsucher-Firma) bei der Jagd nach historischen Schätzen begleitet. Das Konzept der Sendung: "Sie schürfen in fundträchtigen Gebieten wie Schlachtfeldern und historischen Stätte in der Hoffnung reich zu werden, indem sie seltene Stücke der amerikanischen Geschichte ausgraben und verkaufen." Sicher nicht zufällig ist die Namensgleichheit der Sendung mit einem Schatzgräber-Magazin.


Am 28. Februar wurde ausgrechnet bei National Geographic Channel (75% Eigentümer ist Fox) eine ähnliche Serie gestartet: "Diggers". Die Sendung läuft mit einem Vertreiber von Metalldetektoren Anaconda treasures. Wo vor Tagen noch Informationen zur Sendung standen, wird nun auf die Seiten der Firma verlinkt. NG auf twitter: "Is metal detecting a dull spectator sport? Not with the crew from Anaconda Treasure"

Archäologische Fundstellen werden kommerzialisiert und für den Profit oder das Vergnügen/Hobby Einzelner zerstört.


Illegale Aktionen unter dem Schutz des guten Rufs von National Geographic Society?
Inzwischen werden in Foren Fragen laut, wie es möglich sein kann, dass in der gezeigten Folge von Diggers auch Fundstellen geplündert wurden, die unter dem Schutz des National Register of Historic Places stehen. Entsprechende Anliegen werden dort regelmäßig abgelehnt und es besteht der Verdacht, dass es nur der renommierten NG zu verdanken ist, dass der Sender hier Erlaubnis zum Suchen bekam. 


Reaktionen
Die Society of American Archaeologists und die Society for Historical Archaeology haben schärfstens gegen die Sendung von NG Channel protestiert. Sie werfen NG vor, gegen alle ethische Prinzipien zu verstoßen.
  • Reaktion der SHA
  • Blog der SHA: The ethics of Historical Archaeology 
  • Schreiben der SAA (pdf)  - "The archaeological record is precious. Once a site is dug, excavations completed, and artifacts removed, the site can never reveal the mysteries of the past again. Archaeologists are careful to preserve buried history so that future techniques and approaches can tease more information from the ground. Excavating in the way you suggest, without a plan, with little regard for science, preservation, or future approaches, is unethical and robs our descendants of knowledge."
  • Beitrag auf dem Blog museumanthropology (Council for Museum Anthropology, einer Sektion der American Anthropological Association) 
  • Council for Northeast Historical Archaeology (CNEHA) auf facebook 
Dreharbeiten in St. Augustine
Plan von St. Augustie des Baptista Boazio.Gamaliel
(Public domain, Wikimedia Commons)
Wer sich etwas mit historischer Archäologie befasst hat, der kennt St. Augustine in Florida als eine der wichtigsten Fundstellen zur spanischen Kolonisation Amerikas (Forschungsprojekt des FlMNH).
  • Deagan, Kathleen Ann (Hg.) (1983): Spanish St. Augustine. The Archaeology of a Colonial Creole Community. Studies in Historical Archaeology (New York, London: Academic Press 1983).
Schon bei den Dreharbeiten für American Digger, bei der das Fernseh-Team Sondengänger in die Hinterhöfe der Stadt begleitet hat, wehrte sich der Stadtarchäologe Carl Halbirt in einem Artikel vom 6.1. (Crews to dig up backyards for TV show, raising objections from city archaeologist).
Zwei Tage später stellte die Zeitung dann völlig ignorant einen Artikel (Metal detectorist finds rare treasures under sands) online, der das Sondeln preist ("not stealing history - We’re displaying, showing people." allerdings auch nur mit der Einschränkung "on his own terms" - "Freedom, to be able to do what I want and share it with people.").

Empört hat sich Kathleen Deagan, langjährige Projektleiterin und renommierte Professorin für Historische Archäologin in die Diskussion eingeschaltet. In einer Gast-Kolumne: Veteran archaeologist takes issue with treasure hunters stellt sie das ewige Missverständnis richtig: Es ist nicht Geschichte, die mit den Artefakten ans Licht gebracht wird. Weder Archäologie noch Geschichte erschöpfen sich in Funden. Historischen Wert haben sie nur im stratigraphischen Kontext und in gesicherter Fundvergesellschaftung.

Deagan erläuterte das am konkreten Beispiel:
neither archaeology nor history is about artifacts. And history is not “brought to light” by artifacts. Artifacts have historical importance and meaning only in their stratigraphic context (that is, soil layers or “dirt stains”) and in their associations (that is, the other artifacts that are in the dirt above, below, and beside them). Without those contexts, they can only be aesthetic objects.
Let me suggest an example — somebody digs a hole and finds a Catholic religious medallion. It may be a lovely object, but we already know that Catholics and Catholic medallions were present in St. Augustine. It adds nothing to what we know of our history. But, if careful excavation and analysis can show that the medallion came from a deposit dating to the British period of St. Augustine, it would tell us that the site was occupied by either a Catholic Minorcan, or a secret British Catholic. (Blog Clean Up Cizty of St. Augustine, Florida)
Die Kritik wendet sich aber nicht nur gegen die unsystematischen und undokumentierten Grabungen, sondern vor allem gegen die Kommerzialisierung des archäologischen Erbes zum Profit und Vergnügen einzelner. Da in weiten Teilen der USA der Denkmalschutz nur auf Staatsland, nicht aber auf Privatbesitz greift, kann hier anders als in solchen Fällen in Deutschland üblich, nicht mit dem Verweis auf das Gesetz argumentiert werden.

weitere Reaktionen
Erste Zuschauerreaktionen beschreiben die NG Sendung als "schlimmer als zu befürchten war".


Online Petitionen

 Facebook-Gruppen
 Private Blogs

Interessanterweise sind auch die Stimmen in amerikanischen Detektoristen-Foren eher ablehnend.
z.B. metaldetectingforum.com

Quellenwert und Authentizität
In Deutschland finanzieren die Fernsehsender das Plündern archäologischer Fundstellen zwar nicht, aber wie das ZDF gezeigt hat, ist auch hier eine entsprechende Gewissenlosigkeit nicht unbekannt (ZDF animiert Raubgräber). In dieser Reihe kann aber auch auf den 'Focus' (verherrlicht Sondengänger als die eigentlichen 'Finder', lässt sich dabei von Detektorhändlern beraten und übergeht wissenschaftliche Kriterien) oder 'Welt am Sonntag' (unsensibel gegenüber Grabraub z.B. auch: Es war Nacht und da waren Schlangen) verwiesen werden. Deutlich wird, dass die Sender (wie die Masse der Sondengänger) behaupten, sie würden der Geschichte Gutes tun, indem sie Funde machen. Viel zu wenig wird auch von den Archäologen die Bedeutung des Kontextes vermittelt, sondern gerne einfach auf die Gesetzeslage verwiesen. Das Statement von Kathleen Deagan, das das Anliegen und den Erkenntnisgewinn durch eine archäologische Grabung am konkreten Beispiel aufzeigt, scheint mir hier vorbildlich.
Hier wie da dasselbe Miss-/ Unverständnis für Geschichte und das irrationale Gefühl, mit einem (selbst gemachten [oder gekauften]) Fund authentische Geschichte in der Hand zu halten, gemischt mit dem übermächtigen Mythos 'Schatz'.  Aber hat die Archäologie selbst eine klare Vorstellung vom historischen Wert ihrer Funde? Theoretisch fundierte Überlegungen finden sich in der Literatur nur relativ selten, so ist auch der Begriff der Authentizität, der für viele Sammler grundlegend ist m.W. kaum diskutiert (vgl. Die Gier nach dem Authentischen).


Update (4.3.2012)
siehe Proteststurm gegen plündernde Fernsehserien mit weiteren Links zu Reaktionen 

Update (11.11.2012)

4 Kommentare:

  1. Danke für diesen hervorragend recherchierten Blogeintrag und die umfangreiche Zusammenfassung. Auch mich hat das Statement von Kathleen Deagan mit dem von ihr genannten konkreten Beispiel sehr beeindruckt. Gerade anhand von Beispielen kann man manches besser verdeutlichen... hier sind vor allem die Medien in Zusammenarbeit mit der Fachschaft Archäologie gefragt...

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  2. Hmm, der einzige, der mir einfällt, der sich explizit theoretisch mit dem Begriff der Authentizität befasst hat, ist Cornelius Holtorf. Aber seine Thesen sind in diesem Zusammenhang wohl eher kontraproduktiv...

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  3. klasse, ausführlich und gute Quellenkennzeichnung zu diesem wichtigen Thema. So lässt sich das schön abrunden.
    Nur eine Nachfrage: Erste Sendungen liefen; haben Sender wenigstens ansatzweise die rechtlichen Rahmenbedingungen erwähnt? (ich vermute, eher nein. Aber Vermutungen sind das eine…)

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  4. Marcel, National Geographic hat nach der ersten Sendung einen kurzen disclaimer gezeigt, der die Aussage trug, dass man sich beim Sondengehen an lokale Gesetze zu halten hat, allerdings nichts über die archäologische Problematik enthielt. Die Sendung bei Spike ist noch nicht gelaufen, allerdings hat eine Presseprecherin schon verlauten lassen, dass man sich nichts vorzuwerfen habe, da ja alles auf Privatgrundstücken abliefe.

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