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Samstag, 7. Mai 2011

„in der Regel aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit“: Gefahr für mittelalterarchäologische Bodendenkmäler in Bayern

Der Brennpunkt der Denkmalpflege Informationen des Bayerischen Landesamts (S. 6ff.) dreht sich um eine bedenkliche Entwicklung: Durch die Nachqualifizierung der Denkmalliste hat sich in einigen Orten (v.a. natürlich in solchen, in denen der Forschungsstand bisher einfach schlecht war) der Bestand an potentiellen Bodendenkmälern erhöht. Neue Prospektionsmethoden, v.a. aber auch der stärkere Einbezug mittelalterarchäologischer Befunde machen sich hier bemerkbar.
 Als potentiell archäologisch interessante Areale wurden hier erstmals auch die alten Ortskerne vermerkt.

Aus der Politik entstand nun der Druck, die Zahl der archäologisch interessanten Flächen drastisch zu reduzieren - dabei wird auf die Formulierung des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes  von 1973 verwiesen, das Denkmäler als in der Regel "aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit" definiert. Zu bedenken ist dabei, dass Anfang der 1970er Jahre, eine Mittelalterarchäologie gerade in der Entwicklung begriffen war und unter Frühgeschichte auch wesentliche Teile des Mittelalters subsumiert waren. Dass man gerade auch in Bayern hier an das Mittelalter gedacht hatte, zeigt die Schaffung einer Stelle eines Mittelalterarchäologen, die damals mit Walter Sage besetzt wurde.

Die restriktive Auslegung des Art. 1 Abs. 4 DSchG führt also je nach Definition dieser Abgrenzung zwischen Frühgeschichte und Mittelalter dazu, dass der Denkmalstatus für fast alle archäologischen Quellen des Mittelalters und der Neuzeit entfällt. Es sind unbestritten die wichtigsten Quellen zur frühen Entwicklung Bayerns – vom agilolfingischen Herzogtum bis zu den Wittelsbachern. Vielleicht schon bajuwarische Siedlungen und Gräberfelder, sicher aber karolingische Klöster und Pfalzen, ottonische Burgen und Stadtgründungen salisch-staufischer Zeit wären damit in Bayern der undokumentierten Beseitigung überlassen.
Zurückgehend auf die Podiumsdiskussion einer Tagung in Ingolstadt im November 2010 drucken die Denkmalpflege Informationen nun eine Ingolstädter Erklärung ab, mit der Mittelalterarchäologen (mich eingeschlossen) zu den Vorgängen Stellung nehmen (S. 9):

Aus der Ingolstädter Erklärung:

Ausgelöst durch kontroverse Debatten um die öffentliche Darstellung von Bodendenkmälern wird derzeit auf politischer Ebene nach Möglichkeiten zur Verringerung von Zahl und Größe der ausgewiesenen Flächen gesucht. Mit Verweis auf die Formulierung des Art. 1 Abs. 4 BayDSchG, wonach Bodendenkmäler „in der Regel aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit“ stammen, wurde die Zahl der als Bodendenkmal eingetragenen mittelalterlichen Altorte bereits drastisch verringert und nur für wenige Plätze ein Ausnahmetatbestand zugelassen. Eine Ausweitung der Reduktionsziele auf weitere Bodendenkmäler aus Mittelalter und Neuzeit ist zu befürchten.
... Das von der Geschichtsschreibung lange als das „dunkle Zeitalter“ bezeichnete Mittelalter erscheint heute dank der Archäologie in einem völlig neuen Licht, zumal die im Boden befindlichen Spuren – sei es von Baulichkeiten, landwirtschaftlichen oder handwerklichen Anlagen, Verkehr und Transport – objektive Zeugen einer weitaus differenzierteren Geschichte sind, als sie die historischen Quellen allein zu vermitteln vermögen. Für die unbekannte Geschichte einer Lebenswirklichkeit, die sich außerhalb von Kirchen und Klöstern, Burgen und Schlössern zugetragen hat, sind die archäologischen Quellen unsere einzigen Geschichtszeugnisse. ...
Das Leben im ländlichen Raum, Zeugnisse von Handwerk, Handel und frühindustrieller Produktion sind längst in den Mittelpunkt von Forschung und öffentlicher Wahrnehmung gerückt. Diese Geschichte stiftet Identität und erlaubt Identifikation und ist deshalb in den Regionen allgegenwärtig. Die Verpflichtung, ihre Zeugnisse zu erhalten oder wenigstens noch rechtzeitig fachgerecht zu dokumentieren, ist durch internationale Konventionen festgeschrieben und gehört zum Auftrag der Denkmalpflege in fast allen europäischen Ländern.
Die Vertreter der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit an den deutschen Hochschulen und in den Denkmalfachbehörden der Länder betrachten mit Sorge die gegenwärtigen Tendenzen zum Ausschluss ihrer Quellen anhand willkürlich gezogener zeitlicher Grenzen.
Mit der Aberkennung der Denkmaleigenschaft wird ihr historischer Zeugniswert bestritten. Eine selektive Geschichtsschreibung würde damit mit einer einseitigen Erschließung des Archivs im Boden einhergehen.
Das Wissen um das historische Erbe und die eigene Geschichte ist unserer Überzeugung nach ein unteilbares Grundrecht. Seine Aufteilung in schützenswerte Zeugnisse und solche, die ungeprüft preisgegeben werden können, ist unzulässig.
Ingolstadt, 22. Dezember 2010
Prof. Barbara Scholkmann (Universität Tübingen), Prof. Ingolf Ericsson (Universität Bamberg), Dr. Silvia Codreanu-Windauer (Regensburg), Dr. Rainer Schreg (RGZM Mainz)

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