Karl Banghard
Die wahre Geschichte der Germanen (Berlin: Propyläen 2025)
ISBN 978-3549100905
Taschenbuch, 272 Seiten, farbiger Bildteil
Karl Banghard wirft diese Frage ausgerechnet in seinem Germanen-Buch auf. Seine Begründung, warum er es dennoch tut, ist so aktuell wie einleuchtend. In einer Zeit, in der KI aus dubiosen Internetquellen jedem sein individuelles Geschichtsbild generiert und rechte Kreise ein rückwärtsgewandtes Geschichtsbild propagieren, braucht es ein Gegenbild.
„Ein überkommenes Bild kann nur mit einem Gegenbild aufgelöst werden, nicht mit einem Vakuum“ (S. 8).
Solch ein Unterfangen ist gewiss nicht idiotisch, sondern ganz dringend geboten.
Tatsächlich haben sich die Germanen wissenschaftlich in Luft aufgelöst. Ein Blick auf die Begriffsgeschichte zeigt, dass er von Anfang an ein politischer Kampfbegriff war.
Ein Kampfbegriff wurde er auch wieder im 19. Jahrhundert, in dem die Nationalidee um sich griff. Die mythische Vergangenheit sollte sich im „Volksgeist“ spiegeln und das Wesen der Nation ausmachen. Das war zunächst auch kein rechts-konservativer Gedanke, sondern war1848 auch in der Paulskirche weit verbreitet.
Schließlich wurde auf die Germanen aber alles projiziert, was man sich im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für das nationale Eigenbild so wünschte: eine hierarchische Gesellschaft (erst mit Adel, dann mit Führer), schollentreue, reinrassige Bauern (Blut und Boden), starke athletische Krieger, blond und blauäugige Herrenmenschen mit dem Drang zur Eroberung neuen Lebensraums für die großen Standard-Musterfamilien.
Dieses altbackene und falsche Germanen-Bild prägt aber bis heute das Geschichtsbild der Mehrheit der Deutschen. Es ist in das kollektive Gedächtnis überführt worden und damit sehr schwer zu hinterfragen. Das ist auch für die Wissenschaft ein schwieriges Unterfangen. Wie geht man mit dem obsoleten Germanen-Begriff um? Im wesentlichen gibt es drei Möglichkeiten:
- ihn verdammen und der Vergessenheit anheimfallen lassen, also einfach nicht mehr verwenden.
- ihn als etablierten und populären Begriff weiter benutzen, aber die Klischees nicht mehr bedienen
- ihn offensiv aufgreifen und dekonstruieren.
Idiotisch ist am ehesten die erste Möglichkeit, denn wenn die Wissenschaft ihn nicht gebraucht, so wird er doch weiter vom unbedarften deutschen Michel, vom Nationalisten und von der KI genutzt werden. Damit gerät der Begriff in eine Bestätigungsschlaufe und macht die Wissenschaft eher unglaubwürdig.
Die zweite Möglichkeit ist durchaus gängige Praxis. Dabei reicht das Spektrum von detaillierten und durchaus kritischen, wissenschaftlich wertvollen Synthesen (z.B. Steuer 2021) bis zur populärwissenschaftliche Arbeiten, sie meist auch die Problematik darstellen, aber letztlich den Germanenbegriff dann doch bestätigen (Künzl 2021).
Ein Beispiel dafür war die große Germanen Ausstellung in Berlin. Zwar wurde hier der Germanen-Begriff in Ausstellung und Katalog (Wemhoff / Uelsberg 2020) durchaus kritisch diskutiert, aber es ist vermessen anzunehmen, dass dies beim Publikum auch tatsächlich ankommt. Sehr viel mehr Leute dürften die auffallenden Ausstellungsplakate und die Werbung gesehen haben und bestenfalls als Botschaft mitgenommen haben, dass sich die Wissenschaft nach wie vor mit Germanen befasst. Der Punkt hinter dem Ausstellungstitel „germanen.“ verstärkt diese affirmative Wirkung.
Bemerkenswerterweise ist als Kontrapunkt zur Ausstellung 2020 bei der Bundeszentrale für politische Bildung ein Bändchen erschienen, das gezielt Möglichkeit 3 verfolgt (Langebach 2020). Die Autoren dieses Bandes reden sehr viel mehr Klartext, da sie ihr Thema sehr viel grundsätzlicher angehen. Auch Karl Banghard hat hier bereits einen Beitrag zum Germanenbild der extremen Rechten nach 1945 beigesteuert (Banghard 2020), das ihn als Leiter des Freilichtmuseums in Oerlinghausen, einst ein NS-Museum seit Jahren beschäftigt (Banghard 2016; Banghard / Raabe 2016). Die fachliche Kritik am Germanen-Begriff wird seit etwa 20 Jahren immer lauter und hat seit einigen Jahren auch die Medien erreicht. Grundsätzlich geht es um die Bedeutung von Ethnizität und um den Volksbegriff, konkret auf die Germanen bezogen, um die Methodik und Sinnhaftigkeit ethnischer Interpretation im frühen Mittelalter. Diese Diskussion hat in den vergangenen Jahren insbesondere aus Freiburg immer wieder wertvollen Input erhalten (z.B. Brather 2000; Beck et al. 2004; Rummel 2007; Fehr 2010), der zunächst, wohl auch als Ausdruck eines Generationenkonflikts auf reflexhafte Abwehr gestoßen ist (z.B. Bierbrauer 2004).
Die große Bedeutung, die die ältere Forschung der ethnischen Deutung zugebilligt hat, ist nur dann gegeben, wenn man an einen angeborenen Volkscharakter, an ein Volkstum o.ä. glaubt. Sicher entwickeln Gemeinschaften Mentalitäten und Gebräuche, die sie prägen, die aber historisch auch veränderlich sind. Daher ist es sehr viel sinnvoller, nicht nach ethnischer Identität, sondern gleich nach der jeweiligen sozialen Praxis und konkurrierenden Gruppen-Identitäten zu fragen. Die homogene Volksgemeinschaft jedenfalls ist heute ein politischer Traum der Rechten, der hervorgegangen ist aus den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts. Diese haben sich lange Traditionen zurück in die Früh- oder gar Vorgeschichte geschaffen. Neben den Germanen wurden Slawen, Russen, Gallier, Daker, Albaner und Illyrer zu Ursprungsmythen moderner Gesellschaften, die allesamt daran kranken, dass sie historische Veränderungen und demographische Verschiebungen verkennen. Besorgniserregend ist, dass die moderne Archäogenetik in der populären Wahrnehmung Völker wieder als eine biologische Größe erscheinen lässt. Die wissenschaftlichen Texte sind hier in den vergangenen Jahren zwar schon sehr viel sensibler geworden, aber zahlreiche Studien setzen noch immer an der genetischen Charakterisierung von Völkern an. Aktuell gilt das etwa für eine Slawen-Studie, die auf einer letztlich doch sehr schmalen Datengrundlage eine genetische Diskontinuität in Mähren mit slawischer Migration verbindet und letztlich wieder alte Paradigmen aufgreift und bestätigt, anstatt die Chance der neuen Methode zu ergreifen, die gesellschaftliche Entwicklung ganz neu zu durchdenken (Schulz et al. 2025). Immerhin konnte kein repräsentativer Durchschnitt durch die Bevölkerung analysiert werden, sondern nur die auffallend andersartigen wenigen Körperbestattungen. Bevor man hier wieder ethnische Kategorien ins Spiel bringt, wäre zu fragen, wie homogen die Bevölkerung tatsächlich war. Für die Germanen wäre auch kritisch zu hinterfragen, inwieweit blond und blauäugig tatsächlich für die damaligen Menschen typisch war - was nur vergleichend über ganz Europa sinnvoll ist. Problematisch ist, dass die dominierende Brandbestattung während der römischen Eisenzeit genetische Analysen weitgehend unmöglich macht.
Anders als der Rückentext verspricht, beginnt das Buch nicht erst mit der Varusschlacht, sondern bereits mit Caesar. Banghard hängt seine einzelnen Kapitel an wichtigen Fundorten auf. Der erste ist Kronwinkl, eine seit den 1960 Jahren bekannte Grabgruppe in Südbayern, die eng verbunden ist mit der Frage früher Germanen in Süddeutschland. In der Öffentlichkeit ist dieser Fundort ebenso wenig bekannt, wie einige andere, die Banghard als Gerüst seines Buches ausgewählt hat. Vielfach handelt es sich um Neuentdeckungen der letzten Jahre. Da sich die Abbildungen auf einen Bildteil mit tollen Alltagsrekosntruktionen beschränken, wird dem Leser zu den angesprochenen neuen Funden leider keinerlei visuelle Unterstützung geboten. Vielleicht ist die Strategie aber durchaus richtig, an Stelle unbelebter Museumsfotos eindrucksvolle Lebensbilder zu stellen, um beim Lesepublikum in Erinnerung zu bleiben. Der Anspekt scheint mir nicht zuletzt daher interessant, da die Germanen-Propaganda der 1920er und 30er Jahre sehr geschickt mit Bildern und damals modernen Medien gespielt hat - auch und gerade mit Lebensbildern.
Banghard geht offensiv gegen das Germanen-Bild vor. Der Titel "die wahre Geschchte der Germanen" mag da kontraproduktiv wirken, spielt aber auch mit dem Trend, das Lesepublikum mit "geheimer Geschichte" oder "Lügen" zu fangen.
Obwohl das Germanen-Buch von Karl Banghard populärwissenschaftlich angelegt ist, mag es dazu anregen, die Germanen neu zu durchdenken. Ein wichtiger und konsequenter Schritt ist es dabei, den Germanen-Begriff auf die Antike zu beschränken. Er wurde im 1. Jahrhundert v.Chr. durch C. Julius Caesar populär und auch Tacitus konnte noch in Anspruch nehmen, einen aktuellen Begriff zu verwenden. Danach verblasst er und wird zum literarischen Rückverweis. Banghard bricht daher recht unvermittelt im 5. Jahrhundert ab. Childerich und Theoderich müssen draußen bleiben. In der Spätantike und dem Frühmittelalter sind andere Ethnien von Bedeutung – Franken etwa, Goten, Langobarden, Alemannen und Bajuwaren. Erst viel später werden die Germanen mit der Gleichsetzung deutsch=germanisch wieder aufgegriffen.
Vor allem im 19. Jahrhundert und in der NS-Zeit wurden die Germanen zu nationalen Stammvätern. Das abschließende Kapitel geht auf diese ideologische Dimension der Germanen ein, deren Mythos als Begründung für Rassismus und Krieg herhalten musste und dazu diente, die deutsche Gesellschaft auf konservative Werte einzuschwören und festzulegen.
Sehr spannend ist es, dass Banghard diesen braunen Germanen gewissermaßen “grüne Germanen” gegenüber stellt. Er hebt auf die andersartige Wirtschaftsweise der rechtsrheinischen Stämme während der römischen Eisenzeit ab, die man mit guten Argumenten auch als nachhaltig wirtschaftend begreifen kann. Aus diesem Blick auf die Geschichte lässt sich zweifellos mehr für die Zukunft gewinnen, als aus dem traditionellen Germanenbild. Banghard dekonstruiert die Germanen nicht nur, er zeigt auch neue Perspektiven.
Kurzurteil: anregend und lesenswert!
Literatur
- Banghard 2016
K. Banghard, Nazis im Wolfspelz. Germanen und der Rechte Rand (Wuppertal 2016). - Banghard 2025
K. Banghard, Die wahre Geschichte der Germanen (Berlin 2025). - Banghard / Raabe 2016
K. Banghard / J. Raabe, Die Germanen als geschichtspolitisches Konstrukt der extremen Rechten. In: H.-P. Killguss / M. Langebach (Hrsg.), "Opa war in Ordnung!". Erinnerungspolitik der extremen Rechten. Beiträge und Materialien der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus 8 (Köln 2016) 131–143. - Banghard / Raabe 2020
K. Banghard / J. Raabe, Das Germanenbild der extremen Rechten nach 1945. In: M. Langebach (Hrsg.), Germanenideologie. Einer völkischen Weltanschauung auf der Spur. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 10589 (Bonn 2020) 174–205. - Beck et al. 2004
H. Beck / D. Geuenich / H. Steuer / D. Hakelberg, Zur Geschichte der Gleichung "germanisch - deutsch". Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. RGA Ergbd. 34 (Berlin 2004). - Bierbrauer 2004
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S. Brather, Ethnische Identitäten als Konstrukte der frühgeschichtlichen Archäologie. Germania 78/1, 2000, 139–177. - Fehr 2010
H. Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände 68 (Berlin 2010). - Haberstroh 2013/14
J. Haberstroh, Von Germanen und anderen Erfindungen – Völkerbezeichnungen in der bayerischen Archäologie. Projekt für lebendige Archäologie des frühen Mittelalters, 2013/14, 10–50. - Jarnut 2004
J. Jarnut, Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittelalterforschung. In: W. Pohl (Hrsg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8 (Wien 2004) 107–113. - Künzl 2021
E. Künzl, Die Germanen (Darmstadt 2021). - Langebach 2020
M. Langebach (Hrsg.), Germanenideologie. Einer völkischen Weltanschauung auf der Spur. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 10589 (Bonn 2020). - Rau 2022
A. Rau, Ein Buch über die, die es nicht gab – Anmerkungen zu Heiko Steuers „‚Germanen‘ aus Sicht der Archäologie“. Germania 100, 2022, 313–348. - Reichenbach 2024
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P. von Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. RGA Ergbd. Bd. 55 (Berlin 2007). - Schulz et al. 2025
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H. Steuer, "Germanen" aus Sicht der Archäologie. Neue Thesen zu einem alten Thema. RGA Ergbd. (Berlin, Boston 2021). - Wemhoff / Uelsberg 2020
M. Wemhoff / G. Uelsberg (Hrsg.), Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme (Darmstadt 2020). - Wiwjorra 2006
I. Wiwjorra, Der Germanenmythos. Konstruktion einer Weltanschauung in der Altertumsforschung des 19. Jahrhunderts. Zugl: Berlin, Freie Univ., Diss., 2004 (Darmstadt 2006)
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