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Montag, 19. Februar 2024

Tot unterm Portal!

Paris, Nôtre Dame, Brand 15.4.2019
(Foto: Hopssam.ouda [CC BY SA 4.0]
via WikimediaCommons)

Stephan Albrecht hat sich als Kunsthistoriker in den vergangenen Jahren intensiv mit Kirchenportalen beschäftigt. So kam es, dass er auch an Notre Dame in Paris gearbeitet hat, kurz bevor die Kathedrale 2019 in Flammen aufging. Dank der zuvor erstellten 3D-Modelle wurde Stephan Albrecht zur Berühmtheit und seine Arbeiten zu einer wichtigen Grundlage für den Wiederaufbau.


Er erhielt dafür den Verdienstorden des französischen Kulturministeriums - und zu seinem 60. Geburtstag eine ansehnliche Festschrift, die zwar die Vielfalt der Kunstgeschichte(n) darstellt, in der aber doch viele Kolleg*innen immer wieder auf Portale zurück kommen.
Cover Kunstgeschichte(n)
Kunstgeschichte(n)
  • K. C. Schüppel / M. Tebel (Hrsg.), Kunstgeschichte(n). Festschrift für Stephan Albrecht. Schriften aus der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 44 (Bamberg: University Press of Bamberg 2024) 124–130. -
    DOI:10.20378/irb-92753

Mir war es ein Vergnügen, dem Bamberger Kollegen einen Beitrag zur Festschrift beizutragen - natürlich auch zu Portalen. Die Archäologie ist da freilich eher langweilig, denn sie gräbt ja bestenfalls die Schwelle aus - oder eben das, was darunter eingetieft ist. Mein Beitrag untersucht deshalb früh- bis spätmittelalterliche Bestattungen in Verbindung mit Kirchenportalen, die sowohl in den Schriftquellen, wie auch im archäologischen Befund immer wieder als ein besonderer Bestattungsort hervor treten.

  • R. Schreg, Tot unterm Portal! In: K. C. Schüppel / M. Tebel (Hrsg.), Kunstgeschichte(n). Festschrift für Stephan Albrecht. Schriften aus der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 44 (Bamberg : University Press of Bamberg 2024) 124–130. - DOI:10.20378/irb-92753
Wer richtig neugierig ist, möge den ganzen Artikel samz seinen Fußnoten lesen - die ganze Festschrift gibt es als gedrucktes Buch, aber auch im open access online. Wer neugierig, aber zu bequem zum Klicken ist, der kann hier eine Zusammenfassung meiner Beobachtungen finden:

Die Liste von Herrschergräbern, aber auch von hochadligen Frauen, für die eine Bestattung bei Kirchenportalen überliefert ist, ist lang.

Beispiele sind die Dogengräber in der Basilica di San Marco in Venedig, oder das Atrium von St. Peter und Paul in Canterbury, wo der angelsächsische König Aethelberht und seine Ehefrau Berta beigesetzt wurden. Sie zeigen die breite zeitliche Spanne des Bestattungsplatzes Kirchenportal. Die Tradition der Bestattung an Kirchenportalen könnte bis auf Kaiser Konstantin zurückgehen, der in einer Memoria der von ihm gestifteten Apostelkirche in Konstantinopel bestattet wurde. Hier gibt es Überlegungen, dass diese am ursprünglichen Eingang zur Kirche lag. Diese Praxis könnte auch von Karl dem Großen und anderen Karolingern übernommen worden sein. Leider ist sowohl beim Grab Konstantins wie dem Karls in Aachen die genaue Grabsituation trotz einiger Forschungsbemühungen unklar.


Aachen, Westwerk des Doms
(Foto: Lokilech CC BY SA 3.0
via WikimediaCommons)



Es sind oft Testamente, die auf diesen Bestattungsplatz am Portal hinweisen und auch Hinweise auf die Motive geben. Der normannische Herzog Richard I. verfügte vor seinem Tod 996, dass er vor dem Eingang unter der Traufe des Klosters der Dreifaltigkeit in Fécamp begraben werden sollte. Dieser Wunsch wurde durch seine Unwürdigkeit begründet.

Die Bestattung an solchen prestigeträchtigen Orten war für Herrscher und ihre Familien eine Möglichkeit, ihren Anspruch auf Macht zu demonstrieren. Gleichzeitig waren diese Orte oft als Aufenthaltsorte für Unreine, Büßer und Ungetaufte ausgewiesen, was zeigt, dass sie auch eine symbolische Bedeutung hatten. Die Lage vor der Kirche ist auch ein Zeichen der Demut. Dies wird beispielsweise bei der Bestattung von Pippin dem Jüngeren zum Ausdruck gebracht, der vor den Toren von St. Denis in Paris bestattet wurde - auf dem Bauch liegend.


Der Aspekt der Buße und Demut wird noch deutlicher bei zahlreichen Bischofsgräbern. Otto von Freising äußerte den Wunsch, an einem unansehnlichen Platz außerhalb der Kirche bestattet zu werden, wo alle Brüder darüber gehen mussten. Dies wurde als Zeichen seiner Heiligkeit angesehen. Auch Gregor von Tours wünschte sich eine Bestattung vor dem Portal der Kirche.

Interessant ist die Translozierung der heiligen Walburga von Heidenheim nach Eichstätt. Sie beklagte sich, dass über ihr Grab hinweg gegangen wurde, was für Bischof Otgar ein Grund war, ihr Grab nach Eichstätt zu überführen und dort ein neues Kloster zu gründen. Das Betreten des Grabes wurde als Misshandlung empfunden. Was im einen Fall Anlass für eine Translozierung ist, ist im anderen Fall Zeichen der Demut und der Heiligkeit.

Vieles erfahren wir also bereits aus den schriftlichen Quellen. Ich versuche in meinem Beitrag “archäologische Zugänge” aufzuzeigen, die vor allem zwei Themen betreffen, zu denen potentiell die Archäologie beitragen kann. Zum einen geht es um die Bestattungstopographie und die Frage, inwiefern sich Gräber identifizieren lassen, bei denen solche Aspekte wie Machtpräsentation und / oder Buße und Demut eine besondere Rolle spielten.
Zum anderen kann die Archäologie zur Beantwortung der Frage beitragen, für welche Gesellschaftsgruppen solche Vorstellungen eine Rolle spielten und Teil der sozialen Praxis waren.

Von Bedeutung sind selbstverständlich die Gräber selbst. Ihre Grabgruben sind als archäologische Befunde auch dann erhalten, wenn der zugehörige Fußboden oder die Laufoberfläche bei Um- oder Neubauten abgetragen worden sind. Nicht immer zeigt der Befund jedoch die genaue Lage der Portale. Die Hoffnung, ein spezielles Grab zu identifizieren und seine Lage in der Mikrotopographie der Kirche zu klären, wird daher oft enttäuscht. Dies zeigt der Fall des Grabs von Karls Frau Fastrada, deren genaue Lage trotz schriftlicher Quellen unklar bleibt. Archäologische Grabungen in St. Alban in Mainz zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten eine dreischiffige Basilika aus der Karolingerzeit nachweisen, aber weder die Lage des Fastrada-Grabes noch eine Portalsituation wurden dabei erfasst.


Bestattungen vor den Portalen sind im Wesentlichen nur dann zu erfassen, wenn eine Vorgängerkirche kleiner war als der nachfolgende Bau. Dies ist beispielsweise bei der Kirche St. Martin in Schlingen der Fall, wo vor der Westwand einer wahrscheinlich ins 7. Jahrhundert zu datierenden Holzkirche eine dichte Grabbelegung festgestellt wurde.

Im Falle der alten Kirche St. Martin südlich der belgischen Stadt Arlon wurde zentral vor der Westseite ein längs orientiertes Grab einer etwa 35-jährigen Frau gefunden. Das Grab wird durch seine Beigaben, unter anderem eine Scheibenfibel und ein Paar Wadenbindengarnituren, ins 7. Jahrhundert datiert.

Besonders bemerkenswert ist das gemauerte Grab II ab 1 aus der Kirche St. Veit in Unterregenbach. Es enthielt das Skelett eines etwa 50- bis 60-jährigen Mannes und liegt auf der Mittelachse der ersten Basilika, unmittelbar vor der erhaltenen Portalschwelle und unter einem Vortritt aus zwei Sandsteinplatten, die deutliche Ablaufspuren zeigen. Aus der Grabgrube darunter stammen, wohl verlagert, zwei Keramikscherben, die dem 12./Anfang 13. Jahrhundert zugewiesen wurden.

Ein weiteres Beispiel ist das Grab I ib 3 in der Kirche St. Veit in Unterregenbach, eine Innenbestattung der älteren Saalkirche. Hier wurde ein etwa 45- bis 55-jähriger Mann bestattet. Das Grab liegt genau auf der Mittelachse unmittelbar innen vor der Westwand der Kirche. Dies zeigt, dass ein Bezug auf das Portal auch bei Innenbestattungen möglich ist.


Die Bestattungslage vor der Kirche im Kontext des Portals war nicht auf den Hochadel beschränkt. Aus den Schriftquellen wissen wir, dass sich die Bestattung vor den Kirchenportalen auch auf der Ebene von Herzögen und Grafen fand. Beispiele sind das Testament des Markgraf Heinrich vom Nordgau, der außerhalb der Kirche bestattet werden wollte, und das Grab der langobardischen Adligen Sikelgata, die vor der Basilika des heiligen Petrus Apostels beigesetzt werden wollte.

Ein bemerkenswerter archäologischer Befund ist ein Grab auf dem Petersberg bei Flintsbach a. Inn in Oberbayern. Es lag schräg vor dem Kirchenportal und enthielt eine Beigabenausstattung mit zwei zusammen korrodierten Regensburger Denaren Herzog Ottos II. sowie eine Kapsel mit einer antiken Gemme mit Mithrasdarstellung. Die Bestattung erfolgte auf dem Bauch liegend, und zeigt das Motiv des Büßergestus, das bereits bei Pippin dem Jüngeren im 8. Jahrhundert zu sehen war. Es wird vermutet, dass der Tote zur Familie der Grafen von Falkenstein gehörte.

Die Archäologie zeigt also zweierlei:

Erstens, dass die Tradition in Mitteleuropa nicht auf Karl den Großen zurück geht, sondern bereits in der Merowingerzeit präsent ist. Ein mögliches Vorbild ist Byzanz, so dass nach dieser Grabtopoographie auch im byzantinischen Raum zu fragen ist - was jedoch mein Artikel nicht weiter verfolgt.

Zweitens wird deutlich, dass Portale in der Bestattungstopographie hochrangiger – möglicherweise aber auch sehr regionaler – Eliten einen wichtigen Bezugspunkt bideten - mit sehr verschiedenen, sich überlagernden Bedeutungsebenen.

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