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Freitag, 11. Dezember 2020

Krieg und Kulturgutzerstörung - Berg Karabach

Jahrelang haben wir die Kulturgutzerstörungen im Bürgerkrieg in Syrien und bei den Kriegen in Jemen und Mali gesehen. Jetzt fordert der Krieg in Berg-Karabach wiederum Kulturgüter als Opfer. Der Konflikt zwischen dem christliche geprägten Armenien und dem islamischen Aserbaidchan um die Region Berg-Karabach brach in den 1980er Jahren zwischen den damaligen Sowjetrepubliken aus. In den 1920er Jahren war Bergkarabch mit einer überwiegend armenischen Bevölkerung als autonomes Gebiet der SSR Aserbaidschan zugeteilt worden. Ein 1923 in Aussicht gestelltes Referendum hat nie stattgefunden. In der zerfallenden Sowjetunion brach der alten Konflikt neu aus. Dabei erklärte Bergkarabach 1991 seine Unabhängigkeit. Im Verlauf des folgenden Kriegse von 1993 bis 1994 konnten die Truppen von Bergkarabach mit Hilfe der armenischen Armee große Teile des von Bergkarabach beanspruchten Gebiets unter ihre Kontrolle bringen.
Bei der aktuellen Auseinandersetzung im Spätsommer und Herbst 2020 behielt Aserbaidschan militärisch die Oberhand und bekam unter russischer Vermittlung große Teile der bislang von Bergkarabach gehaltenen Gebiete zugesprochen. Dort flüchtet nun die Bevölkerung und zerstört selbst systematisch die verlassenen Häuser und Höfe. Wieder dienen Kulturgüter in der politischen Auseinandersetzung als Waffe. Ihre Zerstörung soll den Ansprüchen der Gegener ihre Zeugen nehmen, kulturelle Aneignung die eigenen Ansprüche stärken. Vorwürfe der Kulturgutzerstörung markern den Gegner als unzivilisiert und versuchen Sympathien für die eigene Seite zu gewinnen. Daher muss man die Meldungen wiederum mit Vorbehalt nehmen, denn oft schwingen hier nicht nur Empörung und Trauer, sondern auch politische Motive mit.

Berichtet wird einerseits von Zerstörungen, die die nachrückenden islamischen Aserbaidschaner an armenischen Klöstern anrichten, andererseits zeigt Aserbaidschan auf die zerstörten Kulturdenkmäler - insbesondere Moscheen - in den zurückgewonnenen Gebieten.

Der Krieg 1993/94 war auf beiden Seiten wenig zimperlich, wenn es um Menschenleben, Infrastruktur und Kulturgüter ging. Mehrere Städte wurden damals zu Geisterstädten. Agram ist nur ein Beispiel: Die Stadt mit ehedem etwa 50.000 Einwohnern war zuletzt von etwa 360 Armeniern bewohnt, die das Gebiet nun ebenso wie das armenische Militär die Stadt gemäß der Waffenstillstandsverinbarung räumen mussten. Die zentrale Moschee blieb zwar erhalten, aber andere Moscheen und Museen sind damals zerstört worden.


Die Geisterstadt Agram (Google Maps). 
 

Aserbaidschanische Perspektive

So reklamieren Aserbaidschaner Kulturgutzerstörungen in den von ihnen zurückgewonnenen Gebieten, die die Armenier hier seit dem Krieg 1994 angerichtet haben sollen. Eine Seite der aserbaidschanischen Regierung listet Kulturgüter, die von den Armeniern zerstört oder doch beschädigt worden sein sollen:

Das Kulturministerium spielt diese Meldungen unter dem Motto "Culture is back in Karabakh" auch über facebook aus: https://www.facebook.com/mincultaz/

Beklagt wird, dass viele Moscheen gezielt in Schweineställe umgewandelt worden seien, wie beispielsweise die Mosche von Ziglan. Armenische Vandalen hätten die Spuren jahrtausendealter aserbaidschanischer Existenz in Bergkarabach zerstört. Die sollte als "cultural terror and cleansing" benannt werden. Dies sei dieVollendung des von den Armeniern verübten Völkermords durch kulturelle Bereinigung ("cultural cleansing"). Armenien hätte sich Kulturgüter angeeignet und verfälscht um eigene Gebietsansprüche zu untermauern.


Die von Aserbaidschan immer wieder behauptete Zerstörung der Moscheen bewahrheitet sich in den präsentierten Bildern nur bedingt. Die Gebäude sind zwar beschädigt und vernachlässigt bzw. geschändet, aber nicht grundsätzlich gezielt ausgelöscht.

Aserbaidschan hat unter den ersten Maßnahmen in den zurückgewonnenen Gebieten auch eine provisorische Verwaltung aufgebaut, die auch das Kulturministerium einbindet. Eine Pressemeldung wertet dies ausdrücklich als Beleg für den hohen Stellenwert, den Präsident İlham Əliyev der Kultur zumisst. Der Kulturminsiter Anar Karimov selbst bezeichnet seine Aufgabe als "sacred mission". Für jeden Distrikt wurden Vertreter des Kulturministerium benannt, deren Aufgabe es unter anderem ist, den Zustand der Denkmäler zu prüfen.

Das Kulturministerium verweist auf 927 Bibliotheken, die zerstört worden seien mit einem bestand von 4,6 Millionen Büchern. Daneben seien 808 Kulturstätten wie Clubs und Kulturzentren zerstört worden, 85 Musik- und Kunstschulen, 22 Museen mit mehr als 100.000 Objekten, 4 Kunstgallerien, 4 Theater und 2 Konzerthallen. Mehr als 2000 historische Denkmäler sollen diesem Vandalismus zum Opfer gefallen sein. "Such barbaric treatment of cultural heritage, including unique monuments of special importance, should be seen as a threat to world heritage."

Schon 2015 hat eine Seite Zerstörungen von Monumenten unter der armenischen Besatzung in Bergkarabach dokumentiert:


Armenische Perspektive

Umgekehrt gibt es indes auch zahlreiche Berichte in den Social Media, wonach die Aserbaidschaner nun ihrerseits armenisches Kulturgut zerstören würden.


Zu nennen sind Berichte zu

 
Der Blick fällt hier auf die aserbaidschanische Provinz Nakhichevan, in der ebenfalls viele Denkmäler armenischer Geschichte zu finden sind - oder waren. Zwischen 1997 und 2006 soll es hier von aserbaidschanischer Seite zu gezielten Zerstörungen gekommen sein. Genannt werden der mittelalterliche Friedhof von Djulfa und 89 Kirchen sowie Hunderte von Bildsteinen ('khachkars'). Die armenische Regierung leugnet, dass in Djulfa jemals ein armenischer Friedhof exisiterit hätte und verweigerte dem amerikanischen Botschafter, der sich vom Zustand des Denkmals selbst ein Bild machen wollte, den Zugang. Fotografien und Luftbilder dokumentieren hier die gezielte und vollständige Zerstörung christlich-armenischer Denkmäler. Das Gelände des Friedhofs von Djulfa wurde nach der vollständigen Planierung offenbar als Schießstand genutzt. Hier liegen Bilder vor, weil das Gelände von der iranischen Seite der Grenze einzusehen ist und die Zertrümmerung der Grabsteine durch aserbaidschanische Soldaten 2006 direkt beobachtet und gefilmt wurde. Zwischen Juli 2018 und August 2020 wurde auf dem Höhenrücken neben zerstörten Gräberfeld eine Schrift angebracht, die im Luftbild zu lesen ist und die die Motive der Zerstörung erkennen lässt: "her sey vatan üçün" - Alles für die Heimat!
Das Gelände des zerstörten armenischen Friedhofs von Djulfa in GoogleMaps. Im Luftbild vom August 2020 von DigitalGlobe ist auf dem benachbarten Geländerippen eine Steinschrift "Her şey Vatan İçin" (Alles für die Heimat!) zu erkennen.  

 
Die Sorgen um das armenische Kulturerbe scheinen daher nicht unberechtigt. Aserbaidschan verweist auf die Restaurierung christlicher Kirchen in Aserbaidschan, sowie auf die finanzielle Beteiligungen der Heydar Aliyev-Stiftung an Restaurierungsprojekten im Vatikan und an Kirchen in Frankreich. Auch Papst Franziskus dient als Zeuge, der bei einem Besuch in Aserbaidschan 2016 das Land wegen seiner Toleranz gerühmt hat (Pressemeldung Kulturministerium von Aserbaidschan, 23.11.2020).

Kloster Khudavang/Dadivank
(Foto Valen1988 [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons)


Appelle

Wieder fehlt es auch nicht an den üblichen Appellen.

UNESCO

Reaktion aus Aserbaidschan

Aufruf des WMF

 

Andere

Smithsonian
Metropolitan Museum New York 

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