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Sonntag, 11. Oktober 2020

Bürgerwunsch Erhaltung: aktuell in Sankt Vith (Belgien)

In St. Vith in den belgischen Ardennen wurden im Juni 2020 archäologische Reste der Stadtbefestigung freigelegt, woraufhin nun ab 19.10. umfangreichere Grabungen vorgesehen sind. Das Areal liegt im Bereich eines Bauvorhabens, dem die Reste weichen sollen.

Im aktuellen Grabungsbefund wurden eine Mauer auf etwa 10 m sowie die Reste eines Rundturms erfasst,. Da der Mauerzug unter den Fundamenten der späteren Stadtmauer verläuft und das Turmfundament von den Ausmaßen nicht dem einzigen noch erhaltenen Stadtturm entspricht, stellt  der  Grabungsleiter nach vorliegenden Presseberichten die plausible These auf, dass hier Reste einer älteren Burg mit Donjon angetroffen wurden. Aus schriftlichen Quellen wissen wir, dass es in der Mitte des 14. Jahrhunderts zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Stadtherrn und König Karl IV. um die Befestigung der Stadt kam. Wie dies einzuschätzen ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie eine frühere Stadtbefestigung ausgesehen hat - was einzig aus archäologischen Befunden erschlossen werden kann. Angesichts der bisher begrenzten Grabungsfläche sind sichere Aussagen bisher aber nicht möglich. Hier wird vieles auf die weiteren Grabungen ankommen. 

Zweifellos haben die Befunde also eine erhebliche Bedeutung als historische Quelle für die Entwicklung der Stadt und müssen daher auch adäquat untersucht und dokumentiert werden. Dies gilt umso mehr, als Sankt Vith an Weihnachten 1944 von aliierten Bombern vollständig zerstör wurdet, nachdem deutsche Truppen es in der Ardennenoffensive erneut besetzt hatten. Abgesehen von dem genannten Stadtmauertturm, dem Büchelturm, der heute als Wahrzeichen der Stadt gilt, gibt es in der Stadt keine mittelalterlichen Reste.

Büchelturm
(Foto: Romaine [CC0] via WikimediaCommons)

 

Mittelalterliche Baureste sind oft bedeutend für die lokale Identität und so gibt es auch in St. Vith auch eine Bürgerinitiative, die auf die bedeutung der Befunde für die Geschichte der Stadt und der Region hinweist. Wichtig ist in ihrer Argumentation, wie eine Radiosendung bei BRF vom 9.10. zeigt, nicht nur das Narrativ "älter als bisher bekannt", sondern auch die Hoffnung, etwas über die Ernährung im Mittelalter zu erfahren. Auf der Basis mündlicher Überlieferung und Vorkriegsplänen war eine Gruppe historisch Interessierter relativ frühzeitig initiativ und versucht nun eine formale Unterschutzstellung zu erreichen, um Grabungen durchzuführen und Zeit für weitere Planungen zu gewinnen.

Wichtiger Stichtag ist bereits Dienstag 13.10., da die Petenten einen Gesprächstermin mit der Gemeindeverwaltung haben.

 
Wichtige Forderungen der an die Regionalregierung und die Stadt gerichteten Petition sind:
  • die ältesten sichtbaren Spuren der Stadt und Herrschaft St. Vith und somit der urbanen Geschichte in der Eifel zu erhalten,
  • das Geschichts- und Identitätsbewusstsein insbesondere bei den Kindern und der Jugend zu fördern,
  • die Anlage eines „archäologischen Parks“ auf dem Gelände „An der Burg“ als Ort der Begegnung sowohl für ältere Menschen als auch für Kinder und Jugendliche und auch als touristische Attraktion zu ermöglichen,
  • die Zerstörung dieses historisch wertvollen Areals durch Baubagger (nach erfolgten Ausgrabungen) zu verhindern!
Die Petition hat vor allem "moralischen Wert", um öffentliches Interesse an den Überresten zum Ausdruck zu bringen.
 
Die Petition zeigt exemplarisch einige Bürgerwünsche bezüglich des Umgangs mit archäologischen Denkmälern. Obgleich die bisherigen Befunde sehr unscheinbar sind und größtenteils noch gar nicht freigelegt sind, haben sie eine große Bedeutung für die Identität der Stadt (oder jedenfalls wird sie ihnen zugeschrieben). Die Erwartung der Petenten ist, dass "dieser "archäologische Park", gelegen zwischen den neuen Wohneinheiten (...) und dem Stadtzentrum (...) erheblich zur Wohnqualität in der Stadt beitragen" und  "als Ort der Begegnung sowohl für ältere Menschen als auch für Kinder und Jugendliche" werden kann.  Ob die Befunde tatsächlich eine touristische Attraktion sein können, scheint eher fraglich, denn noch wissen wir nichts über deren Erhaltungszustand. Sicher ist, dass es keine weiteren aufgehenden Befunde gibt, man also Aufmauern oder einen Schutzbau konstruieren müsste. Hier gibt es viele Beispiele, bei denen dies nicht gelungen ist, zumal hier auch weitere Folgekosten zu bedenken sind, die vielleicht gar nicht so groß, aber mittelfristig dann oft nicht eingeplant sind. Dabei geht es eventuell nur um eine Müllbeseitigung und etwas erschwertes Rasenmähen, aber eben auch um eine konservatorische Betreuung der der Witterung ausgesetzten Befunde (bzw. auch aufgemauerter Partien). Grundsätzlich denkbar wäre natürlich auch eine Integration der Mauerbefunde in das Erd- oder Kellergeschoß eines Neubaus. Auch hier gibt es Beispiele - gute wie oft leider auch schlechte.
 
Hier zeigt sich ein wesentliches Problem im Umgang mit archäologischen Befunden, das Alltag ist für die Koleginn*en in der Denkmalpflege: Eine genaue Einschätzung der Bedeutung ist meist erst nach den Grabungen möglich, die aber ja meist erst durch konkrete Bauvorhaben ausgelöst werden. Auch das öffentliche Interesse entwickelt sich meist erst im laufenden Verfahren. Die Entwicklung von tragfähigen alternativen Nutzungskonzepten benötigt allerdings Zeit, die in einem solchen Vorgang nicht vorgesehen ist. Nur bei wenigen Denkmälern, bei denen man schon vorher durch schriftliche Quellen oder gezielte Forschung Informationen hat, sind vorab konkrete Nutzungskonzepte zu entwickeln, die dann aber neue Finanzierungsfragen aufwerfen. Ein Investor wird nur so lange bereit sein, die Kosten zu tragen, so lange es sein Vorhaben insgesamt wirtschaftlich nicht gefährdet.

Petitionen, wie die vorliegende scheinen mir wichtig, obwohl sie oft in verschiedener Hinsicht frustrierend sein können. Die Petitionen werden häufig von Laien initiiert und geben sich problematischen Hoffnungen und Illusionen über die Bedeutung und Attraktivität der Befunde wie auch über die Kosten hin. Realistische und tragfähige Konzepte können meist nicht bennannt werden. Für die Verwaltung und Investoren bedeuten sie eine Störung der Abläufe, erschweren Planung und zuverlässige Kooperation, machen alle Abläufe sehr viel zeitintensiver. Dennoch sind solche Petitionen für die institutionalisierten routinemäßigen Verfahrenswege, die gerade der Denkmalpflege oft keine großen Spielräume erlauben, ein wichtiges Korrektiv. Prinzipiell halte ich solche bürgerschaftlichen Initiativen daher für unterstützenswert.


 St. Vith in der Ferraris-Karte der österreichischen Niederlande. Ende des 18. Jahrhunderts war die Stadtmauer auf der östlichen Flanke der Stadt, wo die Grabungen stattfinden, bereits geschleift
(via MAPIRE)

 

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