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Samstag, 3. September 2016

Weg mit der Sau ? - Vom Umgang mit schwierigem Kulturgut

ein Beitrag von Jutta Zerres

Seit 1305 befindet sich das diffamierende Bildwerk an Außenwand der Wittenberger Stadtkirche: Es zeigt eine Wildsau, an deren Zitzen Kinder und Ferkel saugen. Hinter dem Tier hockt ein Mann, der das rechte Hinterbein festhält und den Schwanz hochhebt, um dabei begierig auf den Anus zu schauen. Die menschlichen Figuren sind mit Kugelhüten als Juden gekennzeichnet. Das Bild ist beredtes Zeugnis für den mittelalterlichen Antisemitismus.Von ca. 30 Orten in Deutschland, in angrenzenden Ländern und in Skandinavien sind ähnliche Darstellungen in und an Kirchen oder an öffentlichen Gebäuden bekannt. Sie datieren in die Zeit zwischen dem 13. und dem 16./17. Jahrhundert. Eine Auflistung findet sich auf wikipedia

Die "Judensau" an der Kirche in Wittenberg als Ausdruck frühneuzeitlichen Antisemitismus
(Foto: Avi1111 dr. avishai teicher [CC BY SA 4.0] via Wikimedia Commons [Ausschnitt])


Die Bildwerke haben in der Vergangenheit immer wieder zu Diskussionen geführt. Forderungen nach Entfernung sind dabei gelegentlich laut geworden, wie die Videos über die „Judensäue“ am Regensburger Dom und im Chorgestühl des Kölner Domes zeigen.



Vielfach sind mittlerweile Informationstafeln an entsprechenden Stellen angebracht worden. Auch die Wittenberger Gemeinde hatte bereits 1988 eine Gedenktafel für die Opfer des Holocaust auf dem Boden vor der Kirchenwand installiert und sich damit klar vom Inhalt des Bildes distanziert.

Im Vorfeld des 500-jährigen Jubiläums der Reformation wird die Sau im Namen der „political correctness“ nun wieder durchs Dorf getrieben. Anlass dafür ist die von dem Londoner Theologen Dr. Richard Harvey ins Leben gerufene Petition, die die Entfernung der Wittenberger Schandmals fordert. Das Bild soll verschwinden als Zeichen der Versöhnung und der Buße. Ca. 2700 Personen haben bis jetzt gezeichnet. Das Relief solle laut des Begleittextes „an einem anderen Ort in einem Rahmen ausgestellt werden, in dem der historische Bezug hergestellt werden kann“. Harvey ignoriert, dass das Bildwerk am besten innerhalb des Kontextes, für den es geschaffen wurde, sprich: die Außenwand der Kirche zu verstehen und zu erläutern ist.

Petition: https://www.change.org/p/remove-the-wittenberg-judensau

Aber damit nicht genug: Nun drohte noch ein ominöser Pastor namens Jochen Adler der Gemeinde mit einer Millionenklage, falls das Bildwerk nicht bis Ende August entfernt würde.


A. Bartetzky stellte in einem FAZ-Artikel unter dem Titel: „Die Tyrannei der Beleidigten“ fest, dass die Diskussion um die Wittenberger Judensau sich nahtlos in einen Trend einfügt. Immer wieder finden sich Beispiele dafür, wie Bilder und Worte/Schriften, die nicht in die Kategorie „p. c.“ passen, beseitigt werden, als gelte es die Mitmenschen davor zu bewahren. Bei Licht betrachtet stellt aber die Eliminierung einen Akt der Entmündigung der Rezipienten dar. Offenbar traut man den Menschen nicht mehr zu, eine eigene Bewertung und Zuordnung vorzunehmen. „Was uns aber von den Taliban und vom IS unterscheidet, ist nicht zuletzt unsere Bereitschaft, Kulturleistungen und Geschichtszeugnisse auch dann zu respektieren, wenn sie nicht zu unserem Weltbild passen“ führt Bartetztky treffend aus.

Einen völlig anderen Weg im Umgang mit den historischen Zeugnissen des Judenhasses beschritten jüngst Karl-Heinz Büchner, Bernd P. Kammermeier, Reinhold Schlotz und Robert Zwilling. Sie übersetzten Luthers Hetzschrift „Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem für den heutigen Leser unverständlichen Frühneuhochdeutschen erstmals in ein modernes Hochdeutsch. Damit wird den Lesern die Möglichkeit eröffnet sich ein eigenes Bild von Luthers ausgeprägter antisemitischer Denkweise zu machen. Im Vorfeld der geplanten offiziellen Jubelfeierlichkeiten zum Reformationsjahr 2017 wird dieser dunkle Aspekt nämlich gerne unter den Teppich gekehrt. In dem 1543 erschienen Buch schlägt der Reformator ein Sieben-Punkte-Programm vor, in dem u. a. die Zerstörung von Synagogen und Häusern, die Wegnahme religiöser Schriften, Lehrverbote für Rabbiner und Zwangsarbeit vorgesehen ist. Es lässt sich von Luthers „Handlungsanweisung“ eine direkte Linie zum Holocaust ziehen.

2 Kommentare:

  1. Mich wundert allein der Ort dieser veröffentlichung (Archaeologik), aber sonst hätte ich es womöglich nie gelesen - herzlichen Dank für diesen "Einblick" in den herrschenden Zeitgeist. Andreas Gut (aufgewachsen mit einem Lutherbild über dem Bett)

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  2. As a "Messianic Jew" and self-styled theologian, Dr Richard Harvey seeks to "invite" as many Jews as possible to get to know and, ultimately, embrace the Christian religion. It should not be overlooked that in his arguing, images like the Wittenberg "Juden Sau" are an obstacle to achieving this goal. It is this reasoning which, from a Jewish perspective, makes his campaign an obscenity.

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