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Montag, 27. April 2015

Archäologie im Dienst von Pop-Kultur?

Das Verhältnis der Archäologie zur Gegenwart - oder besser: der Archäologen zur gegenwärtigen Gesellschaft - ist ein vielschichtiges, in der deutschsprachigen Forschung nur ansatzweise reflektiertes Thema. Gleichwohl scheint es wichtig - ergeben sich doch daraus (bewußt oder häufiger unbewußt) die Fragestellungen, der Auftrag und die Legitimation archäologischer Forschungen. Beispiele, die die enge Verbindung zwischen der archäologischen Erforschung der Vergangenheit und der Gegenwart des Forschers demonstrieren, sind jedem Archäologen bekannt. Mag er dabei an Lawrence von Arabien denken, an archäologische Forschungen im Dienste rassistischer/ nationalsozialistischer Weltanschauung, an die spezielle Antragsrhetorik für spezielle Forschungsförderungsprogramme oder auch nur an ein lokales Politikum um irgendein Bauprojekt - Archäologie kann der Gegenwart nicht entkommen.

Mit den neuen Medien organisiert sich ein Archäologie-interessiertes Laienpublikum, seien es facebook-Gruppen von ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern, Sondengängern oder eher esoterisch Interessierten. In solchen Foren kommen wenig wissenschaftliche Ansichten zu Wort, die Verschwörungstheorien und Parawissenschaften anhängen. Die Wissenschaft muss sich in einer Zivilgesellschaft damit auseinandersetzen, denn all dies sind Interessen der Gesellschaft, die man nicht von oben unterbinden kann und sollte.  Darüber hinaus werden hier durchaus öffentlichkeitswirksam Meinungen formuliert, die sich in Gesetzgebungsprozessen wiederfinden können - und vielfach wird in einer modernen Bürgergesellschaft die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit benötigt, wenn es etwa darum geht, einschneidende Mittelkürzungen oder Organisationsreformen der Denkmalpflege oder der Universitäten zu verhindern oder zu gestalten (siehe z.B. Nordrhein-Westfalen - Finanzkürzungen 2013). Aber auch die denkmalpflegerische Feldarbeit kann nicht ernsthaft ohne die Einbindung von interessierten Bürgern erfolgen.

Die Wissenschaft muss hier offensiv die gesellschaftlichen Interessen einer Wissenskultur vertreten. Solides, oder jedenfalls kritisch reflektiertes Wissen und Information sind schließlich eine wichtige Basis moderner Gesellschaften. Wissensvermittlung verläuft dabei immer weniger im frontalen Dozieren, sondern im Diskurs.

Archäologie als Teil der Alltagskultur
Damit dies gelingen kann, muss man sich darüber im Klaren sein, welche Rolle der Bürger heute für den Prozess der Forschung spielt. Es geht dabei nicht zuletzt um die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Archäologie - die außerordentlich strapaziert sind (siehe „Das nennt sich Fieldwork, ihr Schnarchzapfen“ – Der Rülzheimer „Barbarenschatz“ und die öffentliche Wahrnehmung von Denkmalpflege und Archäologen).

Cornelius Holtorf hat das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit untersucht und konnte dabei verschiedene Archäologen-Klischees herausarbeiten. Ob Detektiv, Abenteurer/Schatzgräber, oder Denkmal-Manager, immer stehe dabei mehr der archäologische Prozess, also die Forschungsarbeit im Vordergrund als das Forschungsergebnis bzw. die Vergangenheit. Der Schluss, dass es an der Kommunikation zwischen Archäologie und ihrem Publikum mangelt, ist leicht nachvollziehbar. Zwar mangelt es nicht an Öffentlichkeitsarbeit und Museumsaktivitäten, aber diese transportieren selten Forschungsinhalte, sondern pflegen die Klischees, indem sie meist über einzelne Neufunde oder über die Feldarbeiten selbst berichten. Vermittelt wird das Finden und das Dokumentieren (und [oft mit etwas Angeberei] die dazu eingesetzte High-Tech), aber nicht das Interpretieren. In der Tat scheint auch mir, dass sich kaum ein Archäologe Rechenschaft darüber ablegt, was er denn eigentlich der Öffentlichkeit jenseits seiner Funde vermitteln möchte, welches Geschichtsbild seiner Tätigkeit zugrunde liegt.


Public archaeology oder Wissenschaft?
Holtorf vertritt indes einen extremen Standpunkt: Archäologie sollte sich an ihrem Publikum ausrichten und zur public archaeology werden. Er plädiert dafür, die Archäologie hätte bei dem allgemein eher positiv besetzten Bild in der Öffentlichkeit, diese Öffentlichkeit in die Archäologie einzubinden - anstatt gegen sie zu arbeiten.

Je mehr Menschen an der Archäologie teilhaben und ihre Freude daran hätten, um so bedeutender sei ein archäologisches Projekt. Holtorf verweist hier auch auf die öffentliche Finanzierung der Archäologie, woraus sich eine Verantwortung der Archäologie ihrem Publikum gegenüber ergäbe.

Holtorfs Schlussfolgerungen sind indes etwas verstörend, denn sie bedeuten im Endeffekt, dass Archäologie keine Wissenschaft, sondern Unterhaltungsprogramm wäre. Dann aber gibt es effektivere Methoden, die Massen zu unterhalten: Brot und Spiele (Pommes und Fußball). 


Der dänische Archäologe Kristian Kristiansen wendet sich gegen die Ideen von Cornelius Holtorf (Kristiansen 2008). Er weist auf einige Brechungen in Holtorfs Perspektive hin, indem er die Dialektik zwischen Archäologie und ihrem Publikum verkenne. Gerade die Faszination der Archäologie, nämlich der Forschungsprozess, würde zunichte gemacht, wenn sich die Archäologie auf Holtorfs Forderung einlässt. Und die Forschung trägt eine Verantwortung - dafür, dass die Vergangenheit nach bestem Wissen und Gewissen und auf der Basis aktueller Standards interpretiert und nicht populär manipuliert wird.

Faszination des Forschungsprozesses ist m.E. aber kein ausreichendes Argument. Man kann durchaus vom Sondeln, Sammeln und Phantasieren fasziniert sein. Dazu braucht es Archäologie als Wissenschaft nicht.
Archäologie hat Bedeutung, weil wir lernen können, weil wir Wissen schaffen, das uns etwas sagt. Aber was ist das? Antworten sind hier in der Fachliteratur nur wenige zu finden.

Defizite der Selbstreflektion
Was m.E. hier zum Ausdruck kommt ist eine mangelnde Selbstreflektion von Sinn und Nutzen archäologischer Forschung. Das Humboldt-Zitat Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!bleibt leer, so lange man nicht die Frage beantworten kann, wie sich die Vergangenheit auf die Gegenwart bezieht, wie man als Wissenschaftler die Vergangenheit nachvollziehbar und mit Gewinn auf die Gegenwart bezieht.

Meines Erachtens ist das möglich (nicht immer und überall, aber immer öfter), es erfordert zwingend eine kritische Reflektion der jeweiligen Argumentation und des konkreten gesellschaftlichen Umfeldes. 

Grundlegend - nicht nur unter einem öffentlichen Rechtfertigungsdruck, sondern auch für die Qualität der Forschung - scheint es daher, dass bei der Formulierung archäologischer Fragestellungen aktuelle Themen aufgegriffen werden und Bezugspunkte zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten geschaffen werden. Das muss ernsthaft geschehen und darf nicht in Populismus oder bloßer Rhetorik enden, denn dann wird Wissenschaft unseriös, angreifbar und anfällig für ideologischen Mißbrauch.
Hier muss sorgfältig erforscht und diskutiert werden, wie eine historische Perspektive für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden kann. Dabei reicht das Spektrum von ganz praktischen Anwendungen (prä)historischer Techniken (siehe " Lernen aus der Vergangenheit") bis hin zu einer Risikoabschätzung (siehe z.B. Risiken für AKWs am Rhein) oder einer einfachen historischen Orientierung (siehe z.B. Integration - Altes zu einer aktuellen Debatte). Fragestellungen und Forschungsergebnis, jenseits des Findens, des Typologisierens und Datierens müssen wohl deutlicher dargestellt werden. Hier mag es helfen, Archäologie als eine Kulturwissenschaft zu verstehen. In der Vermittlung muss neben die Darstellung des Ausgrabens eine Darstellung archäologischen Interpretierens treten. Mit anderen Worten: "Theorie" muss ebenso vermittelt werden, wie das Abenteuer Grabung.

Die Fachdiskussionen über den 'Umgang' mit einer Bürgergesellschaft, über die Methoden, die notwendig sind, um aus der Vergangenheit zu lernen, fehlen ebenso wie eine angemessene Wissenschaftsdidaktik. Hier macht sich auch bemerkbar, dass der deutschen archäologischen Forschung die Erfahrung der Dekolonialisierung fehlt, in deren Zuge in der angelsächsischen Forschung die Frage diskutiert wurde, wie sich eine moderne Forschung etwa gegenüber den Nachfahren zu verhalten hat und wie die Rechte und Ansichten einer ethnischen Gruppe zu wahren sind.

Literatur

Links


Freitag, 17. April 2015

Schafft sich die Öffentlichkeit eine andere Archäologie? - Erfahrungen mit Archaeologik

Archäologie = Altertumswissenschaft. Dass Archäologie in der Öffentlichkeit häufig als Altertümersammeln oder Altertumsparawissenschaft/ -phantasterei begriffen wird, hat sich in verschiedenen Blogposts hier auf Archaeologik schon gezeigt:


http://www.dguf.de
Eine Tagung der DGUF in Tübingen wird sich am 14.-17-5.2015 des Themas annehmen: "Schafft sich die Öffentlichkeit eine andere Archäologie? Analysen einer Machtverschiebung".

Einige der für die Tagung formulierten Fragen, wurden hier auf Archaeologik schon angesprochen. Deshalb - und weil ein archäologisches Blog auch eine neue Erfahrung im Kontaktbereich von Wissenschaft und Gesellschaft darstellt - wird ein Vortrag meinerseits versuchen, die Erfahrungen aus bald 5 Jahren Archaeologik dazu zu formulieren.

Der Abstract zum Vortrag (siehe auch DGUF-pdf):

Archaeologik – Erfahrungen mit einem Wissenschaftsblog

Rainer Schreg (Mainz/Heidelberg)
Seit etwa fünf Jahren besteht das Weblog Archaeologik. Es ist derzeit eines der wenigen aktiven deutschsprachigen Wissenschaftsblogs aus dem Feld der Archäologie. Es versteht sich anders als viele andere Blog- und Internetangebote weder als Nachrichtenplattform, noch als institutionelles PR-Instrument, sondern möchte vielmehr eine aktive Rolle in aktuellen Diskussionen um methodisch-theoretische, wissenschaftspolitische und gesellschaftliche Aspekte der Archäologie einnehmen. Das Blog ist deshalb nicht institutionell verankert, sondern präsentiert sich als privates Angebot eines aktiven Wissenschaftlers.
Als Archaeologik an den Start ging, gab es kein klares Konzept bezüglich Inhalten und Zielpublikum. Vielmehr war es der Überlegung geschuldet, dass so skandalöse Vorgänge, wie damals konkret die Prahlerei von Helmut Thoma, Ex-RTL-Chef, mit einem geschmuggelten palmyrenischen Grabrelief, nicht unkommentiert stehen bleiben können. Die klassischen Medien und archäologischen Verbände schienen mir nicht die geeignete Möglichkeit einer Reaktion zu bieten. Ein Blog erschien mir spontan als eine Chance, archäologische Fachinteressen jenseits der üblichen Erfolgs- und Fundmeldungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Archaeologik startete als Experiment.
Einige Beiträge und Themenkreise, die Archaeologik in den vergangenen Jahren aufgegriffen hat, werfen ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Archäologie und neuer Öffentlichkeit. In der Praxis des Bloggens wurde an vielen Stellen deutlich, dass die Wahrnehmung der Archäologie außerhalb des Faches eine ganz andere ist, als wir uns das zumeist vorstellen. Es gibt große Gruppen prinzipiell Archäologie-interessierter Bürger, die wir über unsere normalen Kanäle nicht erreichen, die mit den üblichen Pressemeldungen über Funde und Ausgrabungen wenig anfangen können. Einerseits fehlt es an Grundlagenwissen, das weniger denn je in der Schule vermittelt wird, andererseits bauen die Interessen nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage auf.
Zudem zeigt sich, dass die kritische Thematisierung und das Hinterfragen aktueller Entwicklungen im Fach offenbar in eine Lücke stoßen. Viele Archaeologik-Beiträge haben unerwartete Resonanz (fruchtbare wie dümmliche Kommentare, Medien-Anfragen und Angebote für Projektkooperationen) und ein sehr vielfältiges Publikum (zahlreiche Kollegen, viele Journalisten und ein breites Spektrum von Archäologie-Interessierten) gefunden.
Es zeigen sich die Chancen (und die Notwendigkeit) einer offenen und glaubwürdigen Kommunikation fachwissenschaftlicher Positionen und Probleme in eine breite Öffentlichkeit. Eine gewisse fachliche, durch Kompetenz legitimierte Autorität (weshalb ich gerne zunehmend auf Gastbeiträge zurückgreife) gehört ebenso dazu, wie die Bereitschaft zuzuhören. Die Frage, was archäologische Forschung gesellschaftlich legitimiert, ist nicht nur eine lästige Schikane beim Schreiben von Projektanträgen, sondern erweist sich m. E. als grundlegend für unsere gesamte fachliche Tätigkeit. Bloggen führt Praxis und Theorie der Archäologie zusammen und macht deutlich, dass wir die Theorie ganz dringend brauchen, um die Öffentlichkeit zu erreichen und in der Praxis bestehen zu können.

Donnerstag, 16. April 2015

Ein Radio-Feature über die Gier der Sammler

Sendetermine:
SWR 2              Mittwoch, 22. April 2015, 22:03 Uhr 
BR 2               Samstag, 25 April 2015, 13:05 Uhr 
SR 2               Samstag, 25. April 2015, 17:04 Uhr 
NDR info           Sonntag, 26. April 2015, 11:05 Uhr 
WDR 5              Sonntag, 26. April 2015, 11:05 Uhr 
Nordwestradio (RB) Sonntag, 26. April 2015, 16:05 Uhr
hr2-kultur         Sonntag, 26. April 2015, 18:05 Uhr 
und dann online unter www.radiofeature.ard.de.


Nachtrag (28.12.2015): 

aktuell unter http://www.ard.de/home/radio/Raubgraeber/1656878/index.html

Sonntag, 12. April 2015

Jetzt Nimrud!

IS-Propaganda zeigt Sprengung von Nimrud:
IS-Propagandavideo zur Sprengung von Nimrud
(Ausschnitt aus IS-Video)
Es steht zu befürchten, dass die ersten Gerüchte über Zerstörungen in Nimrud und das enorme Medienecho, die tatsächlichen Sprengungen erst befördert hat.


Samstag, 4. April 2015

IS-Zerstörungen in Hatra - ein neues Propaganda-Video

Am Karfreitag tauchte nun ein Video auf, das IS- Zerstsörungen in Hatra zeigt, in der Antike eine wichtige Handelsstadt zwischen römischem und parthischem/ persischem Reich.
IS in Hatra: Gewehre gegen Antike
(Ausschnitt aus einem Video des IS)
Zu sehen sind keine Bulldozer und kein Sprengstoff, aber Pickel und gezielte Schüsse. Einige der Architekturteile sind mit Metall verstärkt (min 2:42; 4:25) und wohl keine Originale oder doch Ergänzungen (die ganze Anlage scheint nicht unerheblich rekonstruiert). Einige Partien werden 'gekonnt' mehrfach ins Bild gesetzt zu sein, wohl um einen größeren Umfang an Zerstörungen vorzutäuschen.
Die Ruinen von Hatra, November 2008
(Foto: Staff Sgt. JoAnn Makinano [Public Domain] via Wikimedia Commons)
interner Link

Donnerstag, 2. April 2015

Reaktionen auf den IS-Kulturterror (Syrien und Irak im März 2015)

Zerstörungen durch IS
https://www.youtube.com/channel/UC2wcbMIfJc7G8QrRv9rcwXwNach den Zerstörungen im Museum von Mosul und in Ninive hat IS Anfang März zahlreiche weitere archäologische Fundstellen attakiert. Mit Sprengstoff und Bulldozern sollen die Fundstellen von Nimrud, Chorsabad und Hatra zerstört worden sein. Die einschlägigen Meldungen sind bereits in einem früheren Post "Krieg gegen die Vergangenheit? Der IS und die systematische Zerstörung archäologischer Fundstellen. Archaeologik (9.3.2015)' zusammengestellt.


Anfang März soll auch das christlich-assyrische Kloster St. Georg nahe Mosul zerstört worden sein:
Die Nachricht wird inzwischen relativiert: http://www.fides.org/en/news/37442-ASIA_IRAQ_The_monastery_of_St_George_in_Mosul_damaged_but_not_destroyed. Demnach wurde das Kloster zwar stark beschädigt, aber nicht zerstört.

Am 19.3. wurde die Zerstörung einer christlichen Grabanlage (Mar Bahnam-Grab bei Mosul) des 13. Jahrhunderts über facebook verbreitet. Dazu wurden Fotos (Ausschnitte aus einem IS-Video?) gepostet, die die Sprengung tatsächlich zeigen.

In Mosul selbst wurden einige Moscheen zerstört:

1500 historische Bücher und 520 denkmalgeschützte Gebäude sollen in Mosul zerstört worden sein:
    Im kurdischen Shingal hat IS ein historisches Minarett, Wahrzeichen der Stadt sowie weitere Gebäude gesprengt:
    Ein Überblick auch bei
    Zweifel an den Zerstörungen
    Das Beispiel des Klosters St.Georg bei Mosul zeigt, dass gegenüber den Zerstörungsberichten eine gewisse Skepsis angebracht ist. Insbesondere Satellitenbilder dienen der Verifizering der Zerstörungen. Laut einem italienischen Bericht konnte eine Kommission der Organisation Shirin anhand aktueller Satellitenbilder Zerstörungen in Nimrud, Hatra und Chorsabad nicht bestätigen:
    Inzwischen wird versucht, die Meldungen zu verifizieren, wobei Satellitenbilder eine zentrale Rolle spielen:
    Tatsächlich scheinen die ersten Meldungen über Zerstörungen in Nimrud, Hatra und Chorsabad zumindest deutlich überzogen gewesen zu sein. Dass ein echtes Risiko besteht, zeigen allerdings die dokumentierten Zerstörungen im Museum von Mosul sowie des Mar Bahnam-Grabes.

    Eine Zusammenstellung von Satellitenbildern archäologischer Fundstellen aus Syrien und Irak bietet:
    Es sind weniger systematische Planierungen, als vielmehr Raubgrabungslöcher (und militärische Stellungen), die in großem Stil die archäologischen Archive vernichten.


    Im Kontext stehende weitere Meldungen
      Luftangriffe zum Schutz archäologischer Fundstellen?:
      Aufruf eines kuwaitischen Predigers zur Zerstörung der Sphinx in Ägypten:
        Zerstörungen von Kulturgütern durch IS in Libyen:
        Kommentare
        Interviews mit Archäologen
        Stellungnahmen archäologischer Institute und Institutionen
        Reaktionen und Maßnahmen
        UNESCO-Direktorin Irina Bokova startet während eines Irak-Besuchs in Bagdad die Kampagne #Unite4Heritage mit dem Ziel internationale Unterstützung für den Schutz des irakischen kulturguts zu erhalten:

          Die Juristin Marina Lostal geht der Frage nach, inwiefern eine individuelle Strafverfolgung der Plünderer in Syrien erfolgen könne:
          Die Täter von Mosul wurden bereits identifiziert:

          Eine neue facebook-Gruppe sammelt Informationen zu Zerstörungen in Mosul:
            Cyberarchaeology at Mosul: Das Project Mosul möchte das Museum in Mosul digital rekonstruieren und bittet um Mithilfe, etwa durch uploads von Fotos, die das Museum und die Objekte zeigen. Ziel ist es, mit photogrammetrischen Methoden 3D-Modelle der zerstörten Objekte zu schaffen, die später Grundlage sein könnten, ausstellbare Kopien zu erstellen.  




            Inzwischen liegen erste 3D-Modelle vor, die zwar noch nicht ausgereift sind, die aber schon eine Vorstellung bieten, was das Projekt leisten kann:

              Museum in Mosul 2008
              (Foto: Diane Siebrandt, via Ancient World online)
              Die USA geben wenige Tage nach den Zerstörungen demonstrativ geschmuggelte Artefakte an den Irak zurück:
              Inzwischen ist jedoch auch die Diskussion um die Repatriierung von Altertümern in westlichen Museen aufgeflammt:
              Diese Frage darf nicht verwechselt werden mit derjenigen um eine "Verteilung durch den Markt", die die Zerstörung von Fundstellen fördert. Gleichwohl scheint es mit einem Blick zurück in den Zweiten Weltkrieg oder in die heutige Ostukraine überheblich, zu meinen, in Europa gäbe es kein Risiko einer Kulturzerstörung und nur der Westen könne Kultur bewahren.

              In der Reihe der Tabula Imperii Byzantini der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist der lange erwartete Band zu Syrien (verstanden in den antiken Grenzen der Provinzen Syria Prōtē, Syria Deutera, Syria Euphratēsia) erschienen.
              • K.-P. Todt/V. Bernd Andreas, Syria (Syria Prōtē, Syria Deutera, Syria Euphratēsia). Tabulae Imperii Byzantini 15 (Wien 2015).
              Der Band stellt neben der historischen Geographie auch die archäologischen Denkmäler von etwa 2000 Orten vor. Viele davon liegen heute im Bürgerkriegsgebiet und sind von Plünderung und Zerstörung bedroht. Der Band soll als Dokumentation dieser gefährdeten Plätze auch frei online zur Verfügung gestellt werden.


                  Zerstörungen und Plünderungen in Syrien
                  Obwohl immer mehr über einen Wiederaufbau von Aleppo zu hören ist, gibt es von dort doch immer noch Meldungen über neue Kämpfe und Zerstörungen. DGAM, die syrische Altertumsbehörde meldet beispielsweise eine Tunnelexplosion in der Altstadt am Morgen des 12. März (DGAM 13.3.2015).

                  Allgemein:
                  Sicherungsmaßnahmen in Syrien
                  Syrien hat 120 aus Palmyra geklaute Funde zurückgeführt. Viele Funde sind indes ins Ausland gewandert (übrigens schon vor dem Bürgerkrieg: vgl. Archaeologik [15.11.2010] und Archaeologik [16.7.2012]).
                  Wiederaufbaubemühungen in Aleppo:
                  Ein Porträt der Gruppe Heritage for Peace:
                  Antikenmarkt
                  Aufgeweckt durch die tatsächlichen und angeblichen IS-Zerstörungen hat sich ein breiteres Interesse an den illegalen Aktivitäten auf dem Antikenmarkt erheben. Die Erkenntnis, dass nicht nur der IS von den Plünderungen profitiert, findet allmählich größere Aufmerksamkeit und macht klar, dass es sich nicht um ein Ausnahmeproblem mit den Extremisten des IS handelt.

                  Angeblich ist Plünderungsgut des IS auch auf ebay aufgetaucht. Das berichtete die Times:
                  Das inzwischen vorzeitig beendete Angebot bei ebay wurde von einem US-amerikanischen Münzhändler eingestellt und bietet eine griechische Münze aus Apameia an (Prägeort, nicht unbedingt Fundort!). Der Händler bietet ein Certificate of Authenticity, aber natürlich keine Ausfuhrpapiere oder irgendwelche Provenienzangaben, die die Annahme begründen könnten, die Münze stamme eben nicht aus den aktuellen Raubgrabungen, die Apameia weitgehend umgegraben haben und aus denen sicher Tausende von Funden auf dem Markt landen werden (Die völlige Zerstörung von Apameia am Orontes: Syrien im April 2013. Archaeologik [30.4.2013]). Zwar werden einige Münzen angeboten, die aus der Bürgerkriegsregion stammen könnten, aber naturgemäß lässt sich das nicht beweisen - und insgesamt stellen sie nur einen Bruchteil des Angebots des Händlers dar, das Münzen der gesamten antiken Welt umfasst. Mehrfach taucht Spanien als Fundregion auch ungereinigter Münzen auf. Sichere Hinweise, dass besagte Münzen des Angebots aus IS-Plünderungen stammen, gibt es nicht! Eben darum braucht es eine Nachweispflicht, auch für Münzfunde.
                  Sam Hardy nimmt die Geschichte zum Anlass darauf hinzuweisen, dass nicht allein IS für Plünderungen verantwortlich ist. Gerade in Apameia ist die Ausplünderung laut Luftbildern bereits erfolgt, bevor der IS erstarkt ist.
                  Bei Durchsuchungen bei einem Schatzgräber und Antikenhändler in Shumen in Bulgarien wurde neben zahlreichen Funden des 1. und 2. Jahrhunderts, die wohl aus Plünderungen bulgarischer Fundstellen wie Ratiaria (vergl. Ratiaria – Die geschredderte Römersiedlung. Archaeologik [20.6.2013]) stammen, auch ein sumerisches Relief der Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. sichergestellt. 
                  Vergleichbare Funde stammen aus Lagash im Süden des heutigen Irak, das nicht unter der Herrschaft des IS steht. Der Fall verweist jedoch auf enge Verzahnungen zwischen Raubgräbern in Europa und dem illegalen internationalen Antikenhandel.


                        interner Link

                          Mittwoch, 1. April 2015

                          Wrackfunde zu verkaufen! - UN protestiert!

                          Das Finanzministerium von Panama hat bereits 2003 die Bergungsrechte an einem Wrack vor der Küste der kommerziellen Firma Investigaciones Marinas del Istmo (IMDI) verkauft, die Verbindungen zu Odyssey Marine Exploration unterhält (vergl. Archaeologik [7.8.2012]).

                          Es handelt sich um die 1631 gesunkene San José, die 700 t Gold und Silber im Schätzwert von 50 Millionen $ geladen haben soll. 2001 war ihr Wrack durch den Schatzjäger Rob McClung entdeckt worden.
                          Der Vertrag sieht vor, dass 65% der Funde an die Firma IMDI gehen, die sie verkaufen darf. Mit dem Erlös soll ein Museum gebaut werden in dem der 35%-Anteil der Funde ausgestellt werden soll, der an den Staat Panama geht. Eine Kontrolle der Grabungen vor Ort findet nicht statt, ihre Wissenschaftlichkeit scheint zumindest fragwürdig.
                          2013 hat das Kulturinstitut INAC den 10 Jahre alten Vertrag abgesegnet.

                          Panama hat jedoch internationale Verträge unterzeichnet, die solche Aktionen eigentlich unterbinden sollen (UNESCO-Convention on the protection of the underwater cultural heritage von 2001: pdf). Auch hat ein Gericht in Panama in zwei Fällen entschieden, dass Kulturgut nicht in Privatbesitz veräußert werden darf.