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Montag, 18. August 2014

Materielle Kultur: Einige Definitionen (Materielle Kultur und Archäologie 2)

Traditionell wird der Begriff der materiellen Kultur in der volkskundlich-museologischen Forschung auf tote, bewegliche Güter bezogen, womit die gebaute Umwelt weitgehend ausgeschlossen wird (Ludwig 2011). In der Regel werden auch natürliche oder lebendige Dinge wie Bäume, Tiere aber auch Kulturlandschaften ausgenommen. Voraussetzung ist zudem, dass die Objekte auch vom Menschen wahrgenommen wurden.


Im Hinblick auf die Ziele einer Erforschung materieller Kultur – egal ob auf die Gegenwart oder die Vergangenheit bezogen – macht solch eine restriktive Begrifflichkeit heute wenig Sinn und ist nur aus der Forschungsgeschichte (siehe unten) und einem antiquierten Kulturbegriff (siehe oben) heraus zu erklären. Die neueren „material culture studies“ etwa ziehen bewusst die anthropogene Landschaft in die Analyse mit ein. „Die Frage, ob eine Sache vom Menschen gestaltet wurde, erweist sich als nachgeordnet gegenüber der Frage nach der Wahrnehmung von Gegenständen, dem Umgang damit und deren Bedeutung“ (Hahn 2005, 25). Elemente der menschlichen Umwelt, die der Mensch direkt (bewusst, aber auch unbewusst) beeinflusst, prägt oder wahrnimmt sind Teil der materiellen Kultur. Äcker, Hecken, Wege oder Brücken sind ebenso Teil der materiellen Kultur wie Möbel, Gefäße oder jedwede Luxus- und Prestigeobjekte oder Statusabzeichen.
Gräber, Schlachtfelder, aber auch  Kulturlandschaftsrelikte (Abb. 1.3; Abb. 2.1) können nicht ausgeklammert werden, wenn man vergangene Gesellschaften verstehen möchte.



Abb. 2.1 Ackerfluren als materielle Kultur: gestaltete, genutzte und auch wahrgenommene Landschaft


Problematisch ist auch das Kriterium einer Wahrnehmung durch den Menschen, da z.B. Mikroben fester Teil der Kulturgeschichte sind, aber erst in der Neuzeit als solche entdeckt wurden. Unter dem Einfluss menschlicher Kultur entwickelten sich Krankheitserreger, aber beispielsweise auch Hefe-, Milchsäure und Sauerteigbakterien.



Abb. 2.2 Holzmodell einer Bäckerei, Tempel des Mentuhotep II in Deir el-Bahari (British Museum)
Wichtiger Bestandteil des Backens sind Hefe- oder Sauerteigbakterien. Sie sind wichtiger Teil der materiellen Kultur, obgleich sie von den Menschen vor dem 19. Jahrhundert nicht bekannt waren.
(Foto: E. Naville 1906/07, via Wikimedia Commons)



Insofern bietet es sich an, unter materieller Kultur alle materialisierten Überreste vergangenen menschlichen Lebens zu verstehen, unabhängig davon, ob es sich um greifbare Gegenstände, klassische archäologische Befunde oder Geländerelikte handelt.


Dabei handelt es sich bei den archäologischen Funden aber nicht lediglich um Relikte oder Überreste, da beispielsweise Grabanlagen aber auch Architektur (ebenso wie epigraphische Denkmäler) durchaus mit einem Überlieferungswillen einhergehen mögen. Gräber künden an nachfolgende Generationen vom Stellenwert der Familie oder reklamieren möglicherweise auch ganz konkrete Besitzansprüche an Land. Monumente, Kunstobjekte oder bildliche Darstellungen sind ebenso nicht nur als Relikte zu verstehen (vergl. die Kategorien intentionaler/funktionaler Daten: Härke 1993; Archaeologik).




Abb. 2.3 Definitionen von Sachkultur/materieller Kultur
(Graphik: R. Schreg)


Die Begrifflichkeiten von Objekten, Dingen, Sachen etc. sind sehr komplex und ihr Gebrauch ist nicht einheitlich. Die folgende Übersicht stellt einige gebräuchliche Definitionen zusammen:


Ding
Oberbegriff: bezeichnet die einzelnen Gegenstände der materiellen Kultur,
speziell deren physischen Erscheinungsformen (engl. ‚lumps’, eigentlich Brocken oder Klumpen), um ihre Materialität, Dreidimensionalität und physische Präsenz hervorzuheben.
teilweise auch bezogen auf naturgegebene Dinge

problematische Abgrenzung gegen „Sache”, „Objekt” oder „Artefakt”
Objekt
1.) Dinge mit kultureller Bedeutung
Der Begriff ist „psychologisch besetzt“ und lässt jeweils ein ‚Subjekt’ als Gegenüber mitdenken.
Damit lassen sich Objekte der Natur, die nicht weiter bearbeitet, benutzt oder kulturell und sozial eingeordnet werden, aus der materiellen Kultur ausscheiden, was aber umgekehrt auch bedeutet, dass Objekte der direkten Umwelt Teil der materiellen Kultur sind, auch wenn sie wie Tiere oder Bäume lebendig sind.
2.) vom Betrachter unabhängig existente, dem Menschen gegenüber gestellt
Gegenstand
Objekt mit kultureller Bedeutung, schließt aber lebendige Objekte aus
Sache
Betonung auf Gebrauchswert: Objekte menschlicher Arbeit
Artefakt
Betonung auf der Herstellung, dem Produktionsvorgang: intentional und durch menschliche Arbeit
Zeug
Begriff nach Heidegger: vom Menschen geschaffen, dem Menschen dienstbar gemacht
Werk
Begriff nach Heidegger: vom Menschen geschaffen, aber kein unmittelbarer Zweck
Güter (goods)
Betonung auf Konsum und allgemeine ökonomische Dimension
Ware
Betonung auf Markt
Überrest /Relikt
nicht mit der Intention eines Überlieferungswillens produzierte Gegenstände
Nach: Ludwig 2011; Hahn 2005, 19ff.




zur Serie 'Materielle Kultur und Archäologie'
zu Teil 1
zu Teil 3
Literaturnachweise (folgt)




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