Mittwoch, 2. Januar 2019

Bewegte Zeiten - (mit)geteiltes Erbe?

Eine meiner Meinung nach voll zutreffende Kritik der noch bis zum 6.1.2018 laufenden Berliner Ausstellung "Bewegte Zeiten":

Das Ausstellungsthema "Bewegte Zeiten", mit dem auf die grundlegende Bedeutung von Migration, Kulturkontakten und Waren- und Ideenflüssen hingewiesen wird, ist zwar aktuell, aber es erscheint über die Funde drüber gestülpt. Mobilität, Austausch, Konflikt, Innovation, die Schlüsselbegriffe der Ausstellung bleiben blass. Sie werden jeweils auf einer einführenden Tafel angerissen, aber ohne wissenschaftliche Vertiefung, sondern ganz oberflächlich.

Das Potential zeitenübergreifender Darstellung und der damit verbundene Blick auf kulturgeschichtliche Phänomene gewinnbringend zu erschließen, setzt zweierlei voraus: 1.) ein Bewusstsein für die zeitliche Dimension und 2.) eine Differenzierung der Phänomene. Beides ist in der Berliner Ausstellung nur ungenügend gelungen. 

Die  notwendige theoretische Auseinandersetzung um Begriffe in einer Ausstellung angemessen zu vermitteln, ist schwierig. In Berlin hat man in der Ausstellung aber auch im zugehörigen Katalog darauf verzichtet und so bleibt der Eindruck, dass Archäologie einfach Funde anhäuft und die Interpretation eigentlich ganz willkürlich ist. "Die intellektuelle Auswertung fehlt eigentlich völlig" meint Carsten Probst als Kritiker im Deutschlandradio. Damit stellt sich die Frage, was wissenschaftliche Aussage ist und was politische Agenda. Das ist heute recht gefährlich, da die Akzeptanz von Wissenschaft schwindet...

Gerade die Vermittlung der zeitlichen Dimension ist eine Stärke der Archäologie. Sie setzt nicht unbedingt eine chronologische Anordnung voraus, muss aber didaktisch anschaulich gemacht werden. Gerade eine Ausstellung mit dem Titel "Bewegte Zeiten" sollte zumindest exemplarisch die Wandlungsprozesse auf der Zeitachse sichtbar machen. Das Verständnis des historischen Wandels ist m.E. die  zentrale Aufgabe der Archäologie und so wäre die Ausstellung genau die Plattform gewesen, diesbezüglich die wissenschaftlichen Leistungen der Archäologie darzustellen, die eben nicht darin bestehen, neue Funde anzuhäufen. Genau das versuchen wir doch immer wieder den Raubgräbern entgegen zu halten...

"Sharing Heritage" ist heute nicht nur ein Anspruch einer demokratischen Zivilgesellschaft, sondern auch eine wichtige Möglichkeit, um Akzeptanz zu schaffen und um die Ressource Vergangenheit / Kulturerbe nachhaltig und ethisch zu erschließen. Obwohl das Europäische Kulturerbejahr Anlass für die Ausstellung war, hat die Berliner Ausstellung dies nicht aufgegriffen, sondern präsentiert gewissermaßen als Offenbarung von Fachleuten ein Narrativ der schon immer bewegten Zeiten. - Eher mitgeteiltes, als geteiltes Erbe...

Die Aussage, dass Migration immer wieder eine wichtige Rolle in der historischen Entwicklung gespielt hat, ist sicher richtig, aber derzeit ist durchaus auffallend, wie eine jahrzehntelange kritische Auseinandersetzung mit Migration als Erklärungsmodell kulturellen Wandels schlichtweg vergessen wird. Das gilt indes weniger für die Ausstellung selbst, die ja Austausch (Handel), Konflikt und Innovation durchaus als historische Faktoren begreift, um so mehr jedoch für die mediale Begleitung, die sich sehr stark auf den Aspekt der Migration konzentriert. Natürlich ergeben sich gerade hier durch neue Methoden der Isotopenstudien wie der Genetik neue Einblicke und Impulse, aber die kritischen Bemerkungen zu den klassischen Distributionsmodellen und ethnischen Interpretationen sind damit nicht automatisch vom Tisch. Im angelsächsischen Raum war in den 1960er Jahren gerade die Kritik von Wanderungsmodellen Ausgangspunkt für die Ausbildung der damals so genannten New Archaeology, die sich - durchaus erfolgreich - bemühte, andere Erklärungsmodelle für historische Prozesse aufzuzeigen. Große Akzeptanz hat das in Deutschland kaum gefunden, stand es doch dem üblichen Geschichtsverständnis in Deutschland entgegen. Jetzt aber werden die doch auch hier erwachsenen kritischen Ansätze etwa zur Ethnizität weitgehend übergangen. Das Aufgreifen aktueller gesellschaftlicher Debatten in der Archäologie ist ja prinzipiell zu begrüßen, wenn man aber nur die Worthülsen aufgreift
, spielt man eher Populisten und Wissenschaftskritikern in die Hände...

Die Darstellung außen am Martin-Gropius-Bau in Berlin,
früher Kunstgewerbemuseum steht für das alte durch Kontinuitäten
geprägte Geschichtsbild - in der Ausstellung "Bewegte Zeiten"
fehlt aber jene forschungsgeschichtliche Reflektion
(Foto: R. Schreg, 2018)
... Die Ausstellung ist mit ihren Exponaten gut und anregend, weil sie von der üblichen chronologischen Darstellung abweicht und sehr mutig versucht, aktuelle Themen aufzugreifen. Eine wichtige Erfahrung, die die Ausstellung dabei jedoch vermittelt, ist, dass wir hier noch zu lernen haben. Wie greifen wir aktuelle Themen auf? Wie gehen wir mit den Ansprüchen der Teilhabe um? Ohne klare Darlegung und Erklärung der theoretischen Grundlagen der Interpretationen  gerät die Archäologie leicht in den Verdacht eine politische Agenda zu verfolgen. Das Narrativ der Vermittlung muss gezielt Komplexität darstellen und muss daher mehr sein als eine Präsentation von Funden. Theorie in der Archäologie (oder besser: Selbstreflektion) ist heute wichtiger denn je und von zentraler Bedeutung für die Glaubwürdigkeit als Wissenschaft.

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Kann mich dieser Kritik voll anschliessen. Dazu kommen m.M. nach noch handwerkliche Fehler der Ausstellungsmacher: Beschriftungen sind sehr klein und nicht (durch Zahlen o.ä.) den Funden zugeordnet. In einer Vitrine mit einem dutzend kleiner, z.T. ähnlicher Fundstücke ist mir das Identifizieren trotz Vorkenntnisse hin und wieder schwer gefallen - dem interessierten Museumsbesucher wird dass wahrscheinlich abschrecken. Dafür waren einige sehr kleine Objekte (hpts. Münzen) in sehr großen Vitrinen ohne Vergrößerungsmöglichkeit, dafür mit schummriger Beleuchtung, sehr schwer auszumachen. Überhaupt die Beleuchtung: Die war häufig sehr ungünstig gewählt, nämlich dergestalt, das der eigene Körper Schatten auf die Austellungsstücke warf, wenn man sich darüber beugte. Und, merkwürdiger Weise, fehlten einzelne Stücke in den Vitrinen, so als ob sie entnommen worden wären (Zumindest, als ich in der Ausstellung war). In Verbindung mit der bereits erwähnten Beschriftungsproblematik macht das die Stücke dem Besucher noch weniger zugänglich als sie es eh schon sind. Schade, denn es waren so viele außergewöhnliche und (zumindest dem Archäologen) bekannte Funde zu sehen, für die man normalerweise ein dutzend verschiedener Museen in ganz Deutschland aufsuchen müsste.
Ich habe "Bewegte Zeiten" trotzdem sehr genossen, würde sie aber nicht weiter empfehlen In ihrer jetzigen Form wird sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht sondern macht mehr den Eindruck einer archäologischen Nabelschau.