Donnerstag, 16. März 2017

Resilienz – Das hübsche und das hässliche Gesicht

von Detlef Gronenborn

Resilienz ist, auch im deutschsprachigen Raum, ein Modewort geworden. Noch ist es - anders als 'Nachhaltigkeit' - nicht in der Alltagssprache angekommen. Die Statistiken von Google Books zeigen jedoch, wie der Gebrauch des Begriffs in der Literatur stetig zunimmt.


Resilienz meint die Fähigkeit von biologischen Systemen, stabile Zustände unter internem oder externem Druck erfolgreich aufrecht zu erhalten oder diese Stabilität nach einer Krisenphase wieder zu erreichen. Dies gilt für Einzelindividuen, seit den 1970er Jahren von der Psychologie erforscht, bis zu post-modernen Megacities (Science 2016).

Interessant ist, dass die Faszination für dieses Thema in eine Zeit, ja eine Epoche, fällt, die von zunehmender Unsicherheit, von Ängsten, von globalem Verlust bestehender Machtsphären, und natürlich auch in eine Zeit zunehmenden Bewusstseins des aktiven, bereits jetzt regional verheerenden globalen Klimawandels fällt. Kein Abschnitt der bisherigen Menscheitsgeschichte war jemals zuvor durch derartige, gewaltige Herausforderungen gekennzeichnet - so wird die Periode auch als "Great Acceleration", als die große beschleunigung bezeichnet (Steffen u.a. 2015a; 2015b). Seit den 1970er Jahren wächst die bewusste oder auch unbewusste Furcht vor dem Zusteuern auf einen globalen tipping point, auf eine Umkehr des Wachstums und den Ausbruch von Chaos und Zerstörung – eine weltweite complexity cascade. Daher nimmt es nicht wunder, wenn nun überall nach Lösungen gesucht wird und die Mechanismen des eigentlich vagen Phänomens Resilienz in vielen Wissenschaftsdisziplinen aber auch der breiten Öffentlichkeit und der Politik untersucht werden – dies tatsächlich schon seit etlichen Jahren.

In den Archäologien – mittlerweile auch aufmerksam geworden und angesichts enger werdender Budgets im Rechtfertigungsdruck um Aktualismus bemüht – ist die Erforschung der Resilienz vielfach eng verknüpft mit dem der Adaptiven Zyklen. Dieses komplexe Denkschema sieht einen regelhaften Wandel in der Wirkkraft von Resilienz in Verbindung mit anderen Parametern und geht zurück auf antike und mittelalterliche Konzepte wiederkehrender historischer Abläufe (Gunderson/ Holling 2002; Gronenborn u.a. im Druck).

Archäologie – Retter in der Not oder romantisierende Flucht?!


Einst aus der Umweltwissenschaft übernommen, werden die Konzepte Resilienz und Adaptive Zyklen mit der üblichen 5 bis 10-jährigen Verzögerung zwischen englischem und deutschem Sprachraum mittlerweile auch in Mitteleuropa eingesetzt. Sie entsprechen damit dem Bedürfnis vieler Vertreter des Faches, nicht nur gegenwartsbezogen, sondern gar gesellschaftlich notwendig zu erscheinen. Umweltgeschichtliche Diskurse finden Gehör in unserer Zeit, in der die Auswirkungen der Globalen Erwärmung zunehmend für alle spürbar werden und wir uns fragen, wie wohl alles hat kommen können. Zudem lassen romantisierende Vorstellungen von vergangenem Leben hoffen, dass vielleicht in der Tiefe der Zeit Antworten gefunden werden können, wie den zukünftigen Umwelt- und Klimakatastrophen denn begegnet werden kann. Solche Ansätze sind allerdings – wenn unreflektiert vorgetragen – problematisch, verkennen sie doch die Skalenunterschiede zwischen etwa der Umweltbilanz antiker Städte und dem modernen New York. Auch die schöne Idee, dass vergangene Gesellschaften weitgehend nachhaltig gewirtschaftet hätten, wird relativiert. Die Populationszyklen ab dem Beginn der Landwirtschaft zeigen recht deutlich, dass die Bevölkerungen unter günstigen Umständen rasch stark ansteigen konnten, dann aber bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte ebenso rasch wieder zusammenbrachen (Boquet-Appel 2011; Gronenborn u.a. 2014; im Druck). Offensichtlich neigte der Mensch auch in weit zurückliegenden Perioden dazu, bis an die Grenzen des Möglichen zu gehen. Die hochgelobte „Nachhaltigkeit“ vergangener Zeiten wird somit zur banalen Zwangsstrategie, die dem technischen Mangel zuzuschreiben war.

Viel mehr als allgemeine Erkenntnisse zur erheblichen zeitlichen Tiefe nachteiliger menschlicher Handlungen und deren je nach Datenlage mehr oder weniger detaillierten Quantifizierung sind mithin von der Vergangenheit nicht zu erwarten. Auch wird uns das Wissen etwa um den rapiden Meeresspiegelanstieg nach dem Ende der letzten Eiszeit weder Lösungen noch Trost geben, wenn die Herausforderungen für die heute vielfach völlig übersiedelten und bebauten Küstenlandschaften angegangen werden müssen. Dennoch, die Romantisierung der Vergangenheit mag auch eine Resilienzstrategie sein, besonders wenn die Zukunft düster scheint. Dies ist das hübsche Gesicht.

Im abendländischen Denken gibt es seit der Antike eine Strömung - den Degenerationismus - in dem die weit zurückliegende Vergangenheit als ideale Epoche beschworen wird: Das goldene Zeitalter. Verbunden ist dies mit der christlichen Paradieskonzeption.
Lucas Cranach d.Ä. "Das goldene Zeitalter", um 1530
(Nasjonalgalleriet Oslo [PD] via WikimediaCommons)


Resilienz kennt keine Ethik


Resilienz und ihre Erforschung hat aber noch eine andere Komponente: Resilienz beschreibt auch die Reaktion von Gemeinschaften auf jegliche Art geglaubter Bedrohung. So spielt sie eine erhebliche Bedeutung in der Militärpsychologie, die Ursprünge liegen gar in diesem Bereich als nach dem Ende des Ersten Weltkrieg die Gründe für die posttraumatischen Störungen (Beispiel Kriegszitterer) untersucht wurden. Es ist dies das Feld der sozialen Resilienz (Keck / Sakdapolrak 2013). Zu solchen sozialen Resilienzstrategien gehören daher auch etwa Abschottungsprozesse gegenüber geglaubter Überfremdung. Die erschütternde Zunahme rechtspopulistischer Parteien und Verbände auf globaler Ebene nutzen tief in unserem Verhalten angelegte Resilienzstrategien mit denen bereits im Paläolithikum und Neolithikum auf geglaubte oder reale Bedrohung reagiert wurde. Typisches Zeichen sind die möglicherweise zyklischen Ausbrüche interpersoneller Gewalt (englisch warring), welche sich seit dem Spätpläolithikum immer wieder nachweisen lassen. So erklärt sich auch die globale mediale Faszination für Massaker, die vielleicht 7000 Jahre zurückliegen, und bei der lediglich einige Dutzend Individuen hingemetzelt wurden (Meyer u.a. 2015). Ähnliches passiert in den modernen failed states permanent, ohne dass es in den Medien noch erwähnt würde. Aber auch hier greifen wir – unbewusst – zurück und suchen in der zeitlichen Tiefe nach vergleichbaren Verhaltensmustern. Gezielte Tötung Fremder – ethnic cleansing – sind Strategien um einer geglaubten Gefahr außerhalb der eigenen Gruppe zu begegnen. Solche Ausbrüche häufen sich in gesellschaftlichen Umbruchsphasen, in denen altbewährte Regelwerke nicht mehr greifen. Sie sind begleitet von der Entstehung von Renegaten, warlords, vom Aufbrechen alter Ordnungen. Oftmals werden in solchen Zeiten auch geglaubte 'alte' Werte wieder beschworen. "Make America great again!" Die Vergangenheit wird idealisiert, umgedeutet und somit instrumentalisiert. Insofern sind dies auch Resilienzstrategien, denn die Gemeinschaften versuchen neue Ordnungssyteme aus alten Vorbildern zu entwickeln und diese durchzusetzen, nur kommt jetzt vielfach das hässliche Gesicht von Resilienz aus dem Dunkel hervor.


Die zunehmende Militarisierung von Gesellschaften kann auch Bestandteil sich wandelnder  Resilienzstrategien sein.
Parade der Reichswehr 1930
(Foto: Bundesarchiv, Bild 102-10887 [CC-BY-SA 3.0]  via WikimediaCommons)

Resilienz und ihre Erforschung hat mithin keine ethische und moralische Rechtfertigung. Resilienzstrategien sind lediglich dazu angelegt, individuelle oder gesellschaftliche Komfortzonen zu bewahren oder wiederherzustellen. Ob das auf Kosten anderer geht, die nicht der eigenen Gruppe oder Gesellschaft zugehören, war in der Vergangenheit unerheblich. Eine emphatische, altruistische Komponente gilt nur für die Effektivität der eigenen Gruppe und letztlich des Individuums darin.

Jenseits gruppengebundener Resilienz


Erst wenn die Menschheit sich als globales Eins begreifen wird, wird ein umfassender altruistischer kooperativer Mechanismus einsetzen. Aus der Vergangenheit betrachtet scheinen wir jedoch in unserem Verhalten dazu nicht programmiert zu sein, auch wenn immer wieder die Kooperationsfähigkeit des Menschen beschworen wird (Tomasello/ Vaish 2013; Turchin 2015). Wenngleich es uns so gelungen ist, immer komplexere Systeme zu erstellen, so werden die Phasen der Koorperation doch - sicher nachweisbar seit dem frühen Neolithikum (Downey u.a. 2016; Gronenborn u.a. im Druck) - regelhaft von Phasen der Desorganisation abgelöst. Und so mag der gegenwärtige Wandel in sozialen Resilienzstrategien im Zusteuern auf einen zu befürchtenden globalen tipping point letztlich aus unserem langfristigen kulturellen und verhaltenssoziologischen Erbe mit seinen Wurzeln im Paläolithikum zu erklären sein.

Diese Verhaltensmuster zu überwinden, ist die wahre Herausforderung auf allen gesellschaftlichen Skalenebenen, von der Familie und Kleinstgruppe, über Städte und Nationen bis zur gesamten Menschheit. Die Archäologien wie auch die Geschichtswissenschaften könnten die Wurzeln des Verhaltens aber auch den langfristigen Entwicklungsprozess bis zur Gegenwart aufzeigen.


Literaturhinweise

Bocquet-Appel, Jean-Pierre (2011): When the World’s Population Took Off: The Springboard of the Neolithic Demographic Transition. In: Science 333/6042, 2011, 560-561. - DOI: 10.1126/science.1208880 .

Downey, Sean S.; Haas, W. Randall; Shennan, Stephen J. (2016): European Neolithic societies showed early warning signals of population collapse. In: Proc Natl Acad Sci USA 113 (35), S. 9751–9756. - DOI: 10.1073/pnas.1602504113.

Gronenborn, Detlef; Strien, Hans-Christoph; Lemmen, Carsten (2017): Population dynamics, social resilience strategies, and Adaptive Cycles in early farming societies of SW Central Europe. In: Quaternary International. - DOI: 10.1016/j.quaint.2017.01.018.

Gunderson, L.H., Holling, C.S. (Eds.), 2002. Panarchy: Understanding Transformations
in Human and Natural Systems. Island Press, Washington.

Keck, M., Sakdapolrak, P., 2013. What is social resilience? Lessons learned and ways forward. Erdkunde 67 (1), 5e19.

Meyer, Christian; Lohr, Christian; Gronenborn, Detlef; Alt, Kurt W. (2015): The massacre mass grave of Schöneck-Kilianstädten reveals new insights into collective violence in Early Neolithic Central Europe. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112 (36), S. 11217–11222. - DOI: 10.1073/pnas.1504365112.

Steffen, Will; Richardson, Katherine; Rockstrom, Johan; Cornell, Sarah E.; Fetzer, Ingo; Bennett, Elena M. et al. (2015): Sustainability. Planetary boundaries: guiding human development on a changing planet. In: Science (New York, N.Y.) 347 (6223), S. 1259855. DOI: 10.1126/science.1259855.

Steffen, Will; Broadgate, Wendy; Deutsch, Lisa; Gaffney, Owen; Ludwig, Cornelia (2015): The trajectory of the Anthropocene. The Great Acceleration. In: The Anthropocene Review 2 (1), S. 81–98.-  DOI: 10.1177/2053019614564785.

Science 352/6288, 2016, Special Issue URBAN PLANET
http://science.sciencemag.org/content/352/6288

Tomasello, Michael; Vaish, Amrisha (2013): Origins of human cooperation and morality. In: Annual review of psychology 64, S. 231–255. - DOI: 10.1146/annurev-psych-113011-143812.

Turchin, Peter (2015): Ultrasociety. How 10,000 Years of War Made Humans the Greatest Cooperators on Earth: Beresta Books.

Walker, B., Holling, C.S., Carpenter, S.R., Kinzig, A.P., 2004. Resilience, adaptability
and transformability in socialeecological systems. Ecology and Society 9 (2), 5.
http://www.ecologyandsociety.org/vol9/iss2/art5.


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