Dienstag, 30. Juni 2015

Kulturgutraub im Herzen Europas? – Ein Schnappschuss aus Ungarn

Gastbeitrag von László Matthias Simon


Während ungarische Behörden zurzeit in mindestens zwei Fällen von Raubgräberei ermitteln, verkündet die ungarische Regierung den weiteren Ankauf von Stücken des Seuso-Hortfundes. Gleichzeitig sollen durch ein neues ungarisches Gesetz die Möglichkeiten der Archäologie massiv eingeschränkt und hierdurch Bodendenkmäler der Zerstörung preisgegeben werden. Ein weiteres Kapitel in der problematischen Beziehung zwischen Archäologie und Politik in Ungarn.

Grabräuber sind in Ungarn unterwegs

Bereits Mitte Mai fand im nordungarischen Mátraszõlõs eine Hausdurchsuchung statt, bei der Eisenobjekte, Knochenwerkzeuge und Teile eines Tongefäßes zum Vorschein kamen. Die Objekte, denen die Polizei durch einen anonymen Hinweis auf die Spur kam, stammen von einem unbekannten Fundplatz, wobei weitere Informationen bislang nicht bekannt geworden sind.
Aus deutscher Sicht interessanter ist da der Fall eines Sondengänger aus dem ostungarischen Debrecen. Bereits 2006 soll dieser mit einem Metalldetektor ein etwa 3000 Jahre altes Metallgefäß gefunden haben. Er vergrub es in seinem Garten und suchte seitdem nach einem Käufer. Die Fahnder kamen nun über einen Hinweis deutscher Behörden auf den Mann, der auch versucht haben soll, das Objekt nach Deutschland zu verkaufen. Es wird vermutet, dass es sich bei dem gut erhaltenen Stück um einen bislang unentdeckten Teil des bereits 1858 entdeckten Böszörményer Hortfundes handeln könnte, der letzten Sommer im Hajdúböszörményer Museum zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde

Der ungarische Staat als potentieller Käufer/Mieter von Hehlerware?

Wie hoch die Dunkelziffer an Raubgrabungen tatsächlich ist, lässt sich kaum schätzen. Dass es eine Nachfrage auf dem Markt für ungarisches Kulturgut gibt – sogar von staatlicher Seite! –, zeigt der sog. Seuso-Hortfund. Ein großer Teil dieser Fundgruppe wurde im März 2014 von der ungarischen Regierung angemietet (vergl. L.M. Simon, Sieben Stücke des Seuso-Hortfundes durch Ungarn angekauft. Archaeologik [28.3.2014] - http://archaeologik.blogspot.de/2014/03/sieben-stucke-des-seuso-hortfundes.html). Obgleich seine tatsächliche Herkunft immer noch umstritten ist, wird er in Ungarn als nationales Kulturgut gehandelt. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass trotz nun erneut verlautender Rückführungsankündigungen aller eventuell zum Hortfund gehörender Objekte , im Mai in der Ukraine zwei Silberkrüge versteigert wurden, die eine beachtliche Ähnlichkeit zu den Seuso-Funden haben sollen, ohne, dass die ungarische Regierung Anstalten gemacht hätte, diese anzukaufen . Die beiden Stücke gingen für umgerechnet etwa 42.000 € an einen unbekannten Bieter, ihr Verbleib ist unbekannt. Gabriella Nádorfi, Leiterin des Szent István Múzeum in Székesfehérvár zeigte sich in einem Interview gegenüber dem Nachrichtenportal hgv.hu überzeugt, dass es sich um Stücke des Hortfundes handelt, während der Archäologe Zsolt Mráv, Mitarbeiter der Forschergruppe rund um den Seuso-Hortfund in Ungarn, dies gegenüber NOL bestreitet. Ob dies vielleicht der Angst geschuldet ist, den argumentativ fragwürdigen Zusammenhang aller Seuso-Funde als ein zusammenhängender Hortfund  mit Provenienz Ungarn durch weitere Funde nicht zu gefährden, muss Spekulation bleiben.

Eines der Stücke aus dem Seuso-Hortfund, dem die in der Ukraine versteigerten Stücke ähneln,
während der Ausstellung des Hortfundes im ungarischen Parlament im April 2014.
(Foto: Derzsi Elekes Andor [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)


Ein Problem, durch das Raubgrabungen in Ungarn gefördert werden, ist die Gesetzgebung, die zwar eine Entschädigung vorschreibt, die Höhe jedoch nur im Falle von Metallgegenständen als maximal 10% des Metallwertes festgesetzt ist.  So wurden letzten Herbst im Göcseji Museum im westungarischen Zalaegerszeg etwa 73 Bronzegegenstände, darunter Schwerter, Dolche, Brustpanzer und Schmuckgegenstände, abgeliefert, die der Urnenfelderkultur zugeordnet werden. Die Entschädigung für den arbeitslosen Finder belief sich hierbei lediglich auf umgerechnet etwa 310€ und den Dank des Parlamentspräsidenten. Er werde oft gefragt, warum er die Stücke nicht versucht habe zu verkaufen, wo sie doch auf dem Schwarzmarkt hunderttausende, wenn nicht Millionen Forint eingebracht hätten, so der Finder gegenüber NOL. Doch gehören für ihn solche Funde einfach in ein Museum.

Neues Gesetz behindert Rettungsgrabungen


Während also der Boden Ungarns oft ungestraft illegal durchwühlt wird, tut die ungarische Politik ihr Bestes, um die reguläre archäologische Arbeit zu be- oder sogar zu verhindern. So verabschiedete das Parlament am 10. Juni 2015 ein neues Gesetz des Ministeriums für nationale Entwicklung, das die für Rettungsgrabungen zur Verfügung stehende Zeitspanne ein weiteres Mal im Sinne wirtschaftlicher Interessen massiv kürzt. Der ungarische Archäologenverband kritisierte bereits im Vorfeld in einer Stellungnahme, dass das Gesetz verfassungswidrig sei und man gegebenenfalls vor das ungarische Verfassungsgericht ziehen werde. Man argumentiert mit dem in der Verfassung festgeschriebenen Schutz kulturellen Erbes. Das Gesetz ließe es beispielsweise zu, dass für die Grabung von 31 Bodendenkmälern auf einer Autobahnneubaustrecke von 32 Kilometern lediglich 30 Kalendertage eingeräumt werden, was allein arbeitsrechtlich problematisch werden würde, wolle man die Grabungsqualität und -intensität beibehalten. Nach der letzten verheerenden Gesetzesänderung im Jahr 2011 (vergl. Neues Gesetz gefährdet archäologische Notgrabungen in Ungarn. Archaeologik [10.10.2011] - http://archaeologik.blogspot.de/2011/10/neues-gesetz-gefahrdet-archaologische.html) standen 'immerhin' noch 30 Werktage zu Verfügung, was freilich ebensowenig ausreicht. Die Bearbeitung von Fundstellen, die unerwartet zum Vorschein kommen würden, dürften die laufenden Bauarbeiten zeitlich nicht hinauszögern. Eine Untersuchung solcher unerwarteter Funde wäre jedoch sowieso nur noch dann möglich, wenn dies der Minister für Humanressourcen innerhalb von acht Tagen anordnet. Gleichzeitig sollen archäologische Arbeiten auch von nicht für archäologische Arbeiten akkreditierten Institutionen oder Firmen durchgeführt werden können. Ziel der Regelungen soll vor allem die Beschleunigung des Autobahnausbaus sein. László L. Simon, Kommissionsvorsitzender des Nationalen Kulturfonds und ehemaliger Minister für Humanressourcen, sieht in dem Gesetz einen guten Kompromiss zwischen Schutz des Kulturgutes und der Beschleunigung des Autobahnausbaus. Für Gábor Lassányi, den Vorsitzenden des ungarischen Archäologenverbandes, ist es das „schlimmste, was mit der ungarischen Archäologie in den letzten Jahren geschehen ist“.

Autobahnbau in Ungarn seit den 1960er Jahren und Planungen (in rot und gelb) für die nächsten Jahre.
Für die neuen Bauabschnitte sind jeweils nur noch 30 Kalendertage archäologischer Grabungen vorgesehen.
(Bild: PanPeter12 [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Kulturgut ist nicht nur im Nahen Osten bedroht, wo die westliche Welt geschockt auf Ninive, Palmyra und Co. blickt. Auch in Europa geschieht eine schleichende, eher stille Zerstörung von Fundstätten. Jedoch richten hier nicht nur illegal durchgeführte Ausgrabungen erheblichen Schaden an, auch Unwissenheit oder schlicht wirtschaftliche Interessen seitens der Gesetzgeber können Funde und Fundstellen der Zerstörung preisgeben. Europa ist nicht der sichere Hafen für Kulturgut, den sich viele wünschen und vorstellen!



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